Fernsehrat: Mitglieder fordern Neubefassung

Autorin: Nora Sillan

Mit der Löschung des Magazin Royale über rituelle Gewalt aus der ZDF-Mediathek ist noch nicht aller Tage Abend: In einem Antrag vom 18.12.23, welcher dissoziationen.de vorliegt, fordern nun vier Mitglieder des Fernsehrates, u.a. die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Christoph Becker und Katrin Kroemer, sowie Kathrin Sonnenholzner und Angela Spizig, eine Neubefassung mit der Programmbeschwerde für die nächste Sitzung im März 2024. Dieses Schreiben an die Fernsehrats-Vorsitzende kritisiert vor allem, dass eine etwaige Verletzung der Programmrichtlinien eben nicht diskutiert wurde: “Es ist nicht Aufgabe des Fernsehrats, über die Eignung von Themen, z.B. Satire, zu befinden, denn das ist durch die verbriefte Rundfunkfreiheit geschützt.” (Quelle: Antrag erneute Beratung Programmbeschwerde ZDF Magazin Royale vom 08.09.23)

Zudem wird eine große Konfusion bei der Abstimmung geortet und dass Wortmeldungen nicht gesehen bzw. gehört wurden. Weiters habe keine ordnungsgemäße Behandlung des Tagesordnungspunkts stattgefunden: “Der Vorsitzende des zuständigen Programmausschusses hat nicht wie üblich über Beschluss und Begründung des Ausschusses (Zurückweisung der Programmbeschwerde, einstimmig bei sechs Enthaltungen) berichtet, sondern eine ausführliche persönliche Erklärung abgegeben, weshalb der Beschwerde aus seiner Sicht stattgegeben werden solle.” (Quelle: Antrag ebd.) Das vermittelte den Eindruck, so führt der Antrag weiter aus, dass dies die Auffassung des Ausschusses wiedergebe. Und: Eine Entscheidung “sollte den Richtlinien entsprechen und auf Fakten basieren, nicht auf emotionalen Reaktionen”, heißt es in den abschließenden Worten (Quelle: Antrag ebd.).

Gegenüber dem Branchenmagazin Meedia hält Katrin Kroemer, stellvertretende Vorsitzende des Fernsehrats, die Depublikation der Satiresendung wie ein Automatismus nach der Entscheidung für diskussionswürdig: “Man hätte der Transparenz mehr gedient, wenn man die Sendung, die Beschwerde und die Entscheidung des Fernsehrats nebeneinander öffentlich gemacht und das Echo ausgehalten hätte”.

Dissoziationen.de ist mit seinen Zweifeln nicht alleine

Unter dem Titel “Revidiert der ZDF-Fernsehrat seine Entscheidung zur Böhmermann-Sendung?” analysiert Meedia auch wie es nun weitergehen könnte. Bereits in der vergangenen Woche hatte der Münchner Branchendienst über unseren offenen Brief berichtet. Nun werden die Ansichten unseres offenen Briefs zur Programmbeschwerde erneut in jene Kritikpunkte eingebettet, die auch seitens des Magazin Royale und des Ausschusses Programmdirektion sowie ZDF-Intendant Norbert Himmler vorgebracht worden sind:

“Als „herben Rückschlag“ für die Opfer und die Aufklärung ritueller Verschwörungstheorien sieht “dissoziationen.de” das Votum des ZDF-Fernsehrats, das sich für eine Löschung des Böhmermann-Beitrags ausgesprochen hat. In einem MEEDIA vorliegenden Schreiben an das Gremium belegt die Initiative, warum die Beschwerde aus ihrer Sicht der rechtlichen Grundlage entbehrte. Mit seiner Kritik ist das “dissoziationen.de” nicht alleine. Auch die Redaktion des ZDF Magazin Royale fand gegenüber MEEDIA deutliche Worte in ihrer Einschätzung zur Entscheidung des Fernsehrats.” (Quelle: Meedia)

Insofern darf man gespannt sein, wie es weiter geht. Und vor allem ob es zu einer Revision der Entscheidung des Fernsehrats kommt – sehr wünschenswert im Sinne der Aufklärung und insbesondere für die Therapieopfer wäre es jedenfalls.

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Ein Kommentar

  1. Hallo,

    aus der Lügendetektorforschung kenne ich die psychologischen Hintergründe der Entstehung und auch aktiven Einpflanzung falscher Erinnerungen. Um die Lügendetektoren zu testen ist das nämlich ein Weg. Da wird dann mit der Autorität des Wissenschaftlers etwas falsches suggeriert, etc..

    Die Gedächtnisdynamiken in erheblich herausfordernden Situationen, wie jene die zu dauerhaften Anfälligkeiten für Dissoziationen und ähnliches führen, sind sehr anfällig für verfälschende Einflüsse. Deswegen werden bspw. Zeugen so früh wie möglich systematische Interviews abverlangt, welche alle möglichen Details sammeln, um sie im Gedächtnis möglichst genau zu konsolidieren.

    Betroffene Individuen betätigen sich auch selbst an den Verzerrungen. Unser Gedächtnis ist nicht gebaut, um so exakt wie möglich zu erinnern sondern so relevant wie möglich. Durch die automatischen Stabilisierungsmechanismen des Selbst kommt es deswegen innerhalb der ersten Wochen und Monate der persönlichen Entwicklung nach dem einschneidenden Erlebnis zu Verdrängung, Verzerrung, etc.. Narrative werden gebildet, um unerklärliches verständlich zu machen, und diese manifestieren sich als eingeübte Go-to-Gedächtnisse, wenn die Trigger auftauchen. Das kann dysfunktional und selbst belastend sein.

    Was in der ganzen Diskussion um Michaela Huber und die therapeutische Herangehensweise an Menschen mit diesen Problemen auf der Seite der Skeptiker fehlt, ist eine dezidierte Auseinandersetzung mit der psychologischen Grundlage der Gedächtnisprozesse sowie der klinischen Arbeit mit den Patienten durch Therapeuten, Sozialarbeiter, etc..

    Es ist sehr wohl möglich für Betroffene zwischen mehr klaren und weniger klaren Gedächtnisepisoden zu unterscheiden. Es ist auch möglich die Gedächtnisschwierigkeiten im therapeutischen Prozess zu thematisieren und ein besser stützendes Narrativ zu entwickeln. Wenn bspw. an Missbrauchsfälle aus Familiensysteme gedacht wird, dann spielt dabei bspw. auch eine Rolle, dass Betroffene die Täter schützen, um ihre existentielle Lebensgrundlage aufrechtzuerhalten. Darüberhinaus kommt es zu aktiven Versuchen der Täter die Opfer in ihren Reaktionen zu beeinflussen. Das führt auch zu Gedächtnisverfälschungen. Innerhalb von toxischen Beziehungskonstellationen wird das geläufig auch als Gaslighting beschrieben.

    Die Sendung von Böhmermann genauso wie die gängige Skeptikerbehauptung einer Verschwörungstheorie differenziert hier nicht ausreichend über die schwierige Ausgangslage der Situationen, in denen sich das Gedächtnis zu den Ereignissen bildet und wie diese Prozesse durch verschiedenste Akteure und Aspekte beeinflusst wird. Es wird auch viel zu wenig repliziert, was die klinische Forschung für die therapeutische Praxis dazu bereithält.

    Es ist und bleibt ein Dunkelfeld, das viele, viele verschiedene Fälle umfasst. Michaela Huber und den meisten der Therapeuten, Berater, etc. zu unterstellen hier nicht mit Fingerspitzengefühl vorzugehen und sogar falsche Erinnerungen entlang eines einzelnes Narrativs zu produzieren entbehrt allein schon deswegen jeglicher faktischer Grundlage. Auch aus einer moralischen Perspektive ist der Beitrag nicht diskussionsfördernd sondern diskussionshemmend, weil er Betroffenen wie Therapeuten eklatant grundsätzliche Freiheiten absprechen will, wie das selbst zu entscheiden, wie mit den schwierigen Erfahrungen umzugehen ist bzw. welche therapeutische Maßnahme sinnvoll vorzuschlagen ist. Das ist keine Grundlage einer respektvollen Diskussion auf Augenhöhe, wie es insbesondere Betroffene dieser schwierigen Gedächtnissituationen erwarten dürfen.

    Darüberhinaus schafft der Beitrag ein gesellschafltiches Klima der Verneinung der Betroffenenerfahrungen. Im Beispiel der Familiensysteme freut sich jede Täter darüber den Betroffenen aufgrund Böhmermanns Beitrag Glaubwürdigkeit abzusprechen. “Hat ihr der Therapeut eingeredet.” “Das ist, weil sie eh so wirr ist.” Das ist ungeheuerlich.

    Sicherlich gibt es Menschen, die an eine globale satanische Verschwörung glauben und darunter sind mit Sicherheit auch Therapeuten und Betroffene. Ohne eine Studie über die tatsächliche Häufigkeit bestimmter Meinungen lässt sich keine abschließende Aussage darüber treffen, ob die von den Skeptikern behauptete Verschwörungstheorie tatsächlich soweit verbreitet ist. Michaela Huber hat in ihren Veröffentlichungen und Interviews immer sehr differenziert aufgegliedert, wie Ihre Meinung zu dieser schwierigen Fakten- und Erfahrungslage aussieht, und daraus lässt sich kein Glauben an eine satanische Weltverschwörung ableiten.

    Meiner Meinung nach grenzt das an Verleumdung oder Rufmord.

    Auch auf dieser Webseite sehe ich keine ausreichende Differenzierung des etablierten Wissens- und Praxisstands. Ich würde stark davon abraten sich aus der Liga der Skeptiker Anerkennung zu holen und zu wünschen, da sie wiederholt unwissenschaftlich und nicht faktenorientiert auftreten. Es wird hier ja sogar ohne jegliche systematische Erfassung eine satanic panic in Deutschland behauptet. Auch wissenschaftstheoretisch ist die Skeptiker-Überzeugen, das der aktuelle Wissensstand das endgültige Maß aller Dinge in diesem Problembereich darstellt, nicht logisch zu halten, denn die Faktenbasis ist einfach nicht gegeben, um hier irgendwelchen strengen Schlussfolgerungen wie die einer weitverbreiteten satanischen Weltverschwörung oder der Verschwörungstheorie darüber zu tätigen.

    In diesem Sinne ist aus einer wissenschaftlichen und auch demokratischen Perspektive die Skeptikermeinung nicht weniger extrem und hinderlich für die Aufarbeitung als die Verschwörungstheorie selbst.

    Es gibt millionfaches Videomaterial von polizeilich nicht aufgeklärten Missbrauchsstraftaten, die durch Symbolverwendungen rituelle Anscheine haben. Seit den 90ern ist bekannt, dass es nicht wenige Kult- und Sektenstrukturen gibt, welche das Potential solcher Missbrauchsaktivitäten bieten und der Auftrag der weiteren Erforschung wird weiterverfolgt. In der Ermittlungsarbeit überschneidet sich das logischerweise mit der Aufklärung von Menschenhandel.

    Ich kann deswegen nur davon abraten weiter eine weitverbreite Existenz der stanic panic zu behaupten. Das hilft nicht. Das stört nur. Der Hinweis darauf auch an die klinischen Praktiker wirklich sehr vorsichtig vorzugehen, kann demgegenüber nicht genug ausgesprochen werden. Besser wäre es hier die Supervisionsgruppen ins Visier zu nehmen und dort die Thematik der Vulnerabilitäten von Gedächtnisstrukturen häufiger zu aktivieren.

    Falls es tatsächlich eine satanische Weltverschwörung gibt, was sehr unwahrscheinlich ist, hilft es auch nicht dabei das aufzuklären, die Möglichkeit deren Existenz generell abzusprechen. Die Bedingungen der Möglichkeit sind da. Viel eher aber, und das sagt auch Michaela Huber selbst, handelt es sich, wenn es wirklich rituelle Gewalt ist, um bizarre Auswüchse bereits bizarrer Gruppierungen wie eben die organisierte Kriminalität oder esoterisch-okkulte Glaubenssysteme.

    Also ein drittes Mal der dringende Hinweis sich von dieser Herangehensweise an die schwierige Thematik abzuwenden und dem behutsamen, achtsamen Dialog und Diskurs Raum zu geben. Böhmermanns Sendung macht die Hilfe für Betroffene schwieriger, macht die Hürden offen zu reden für Betroffene größer, erschwert es Therapeuten ihre eigenen Eindrücke ordentlich aufzuarbeiten. Wer in ständiger Angst leben muss wegen seiner Aussagen über mögliche Erklärungen für die vorhandenen Gedächtnisinhalte als Verschwörungstheoretiker abgestempelt zu werden, ist maximal davon entfernt eben jene Gedächtnisinhalte würdevoll aufzuarbeiten.

    Leonard Brauch

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