Offener Brief an den Fernsehrat

An den
Fernsehrat des ZDF
– Geschäftsstelle Fernsehrat –

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Marvel Stella
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Beschwerde über Ihre Entscheidung zur Löschung des „Magazin Royale“, 8.9.23

Sehr geehrte Damen und Herren des ZDF-Fernsehrats,

mit sehr großem Bedauern und Unverständnis haben wir Ihren Beschluss der Sitzung vom 8.12.23 zur Kenntnis genommen, dass Sie der Programmbeschwerde der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ über die Sendung Magazin Royale vom 8.9.23 stattgeben. Erstens ist dies ist ein herber Rückschlag für die Aufklärung zur Satanic Panic rund um die Verschwörungstheorie von ritueller Gewalt & Mind Control und ein Schlag ins Gesicht für die zahlreichen Opfer dieser Fehltherapien. Zweitens sehen wir die gegenständliche Programmbeschwerde als nicht ausreichend begründet an, um eine Verletzung der ZDF-Richtlinien zu argumentieren (siehe hierzu Punkt II. unseres Schreibens).

I. Zu Ihrer Entscheidungsbegründung:

In den Medien wurden einige Begründungen Ihrer Entscheidung kolportiert, die Sie zu Ihrem Entschluss bewogen haben: Herr Pater Hans Langendörfer wurde mit der Aussage zitiert, dass es Themen gebe, die für Satire nicht geeignet seien, dazu zähle sexualisierte Gewalt. Weiters berichtete der Tagesspiegel von befürchteten „schädigenden Wirkungen“ auf Patienten und dass die Betroffenenperspektive nach Ansicht des Fernsehrats zu wenig eingebracht worden war.

Auf unser Webseite finden Sie hierzu eine ausführliche Einordnung, die auch unsere persönliche Enttäuschung über Ihre Entscheidung zum Ausdruck bringt: https://dissoziationen.de/2023/12/10/zdf-fernsehrat-rueckschlag-fuer-die-aufklaerung/

Herausgreifen möchten wir an dieser Stelle folgenden Aspekt: Das Format der Satire bezog sich in casu nicht auf sexualisierte Gewalt, um auf das Argument von Herrn Langendörfer einzugehen. Im Gegenteil, es wurde in aufklärerisch-satirischer Form über eine Verschwörungstheorie berichtet, die auch Opfer von sexualisierter Gewalt betrifft. Demgemäß kann die befürchtete schädigende Wirkung, die ein weiteres Ihrer Argumente darstellte, entkräftet werden, da explizit vor dem Schaden, den Fehltherapien anrichten können, gewarnt wurde.

II. Programmbeschwerde der Aufarbeitungskommission:

Die Unabhängige Kommission für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs ortet in ihrer Programmbeschwerde vom 19.9.23 die Verletzung folgender Programmgrundsätze: Nr. I (1) und (3), Nr. III (8) sowie Nr. IV (3) der Programmrichtlinien. Konkret werden folgende mutmaßliche Verletzungen aufgezählt: „die Verpflichtung, die Würde Betroffener sexualisierter Gewalt zu achten“, „die Verpflichtung zur Präsentation differenzierter Sendungen, die mit Blick auf das Problem sexualisierter Gewalt eine Urteilsbildung einschließlich der Bezüge zu allen Bereichen der sexualisierten Gewalt ermöglichen“, „die Verpflichtung, verhetzende Wirkungen von Sendungen zu vermeiden“, „die Pflicht zur Ausgewogenheit“. (Programmbeschwerde, S. 4f.)

Auch wenn sich diese Punkte auf den ersten Blick nach schweren journalistischen Vergehen anhören, können sie einer Detailbetrachtung nicht standhalten. Es fehlen zudem jegliche direkte Zitate aus der Sendung, also Einzelpassagen, welche die Verletzung der aufgezählten Punkte schlüssig begründen. Stattdessen wird pauschalisierend von einem stillschweigend ausgelösten „Sog der Abwertung“ gesprochen, „der die Gesamtproblematik – Betroffenheit von sexualisierter Gewalt – nicht nur der Lächerlichkeit preisgibt, sondern zur weiteren Traumatisierung von Betroffenen beiträgt, weil sie stillschweigend die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen und die Glaubwürdigkeit ihrer Person unter Verdacht stellt.“ (Programmbeschwerde, S. 3). Daneben wird die Beförderung einer Stimmung geortet, „die Betroffene sexualisierter – einschließlich organisierter und/oder ritueller – Gewalt als nicht weiter ernstzunehmende Personen darstellt“(ebd., S. 4) bzw. sich über sie lustig mache und ihre Menschenwürde verletze.

Diese Unterstellungen an Jan Böhermanns Sendung entbehren allesamt jeder faktischen Grundlage. An keiner einzigen Stelle werden Gewaltbetroffene abgewertet, so hält Böhmermann gleich zu Sendungsbeginn über organisierte Gewalt fest: „Ganz wichtig, Disclaimer vorweg, bitte nicht verwechseln mit organisierter sexualisierter Gewalt, das ist was anderes, es geht heute um rituelle Gewalt durch geheime satanistische Zirkel oder andere mystische Gruppen.“ (Magazin Royale,Min 4:01)

Im weiteren Sendungsverlauf wird Böhmermann noch deutlicher und spricht über schwere Traumata: „Es gibt viele Menschen, die wirklich schreckliche Traumata erlitten haben und sich darum Psychotherapeut:innen anvertrauen. Und darum ganz im Ernst, sehr ernst: Leider gibt’s in Deutschland aber auch Psychotherapeut:innen, die ihren Patienten keine Hilfe anbieten, sondern sich in der Therapie auf die Suche begeben nach irgendwelchen seltsamen Teufelsgeschichten und dadurch können traumatisierte Menschen irgendwann selber anfangen zu glauben, dass sie sich an den Teufel erinnern. (…)“ (Magazin Royale, Min 23.25)

Auch hier ist von Abwertung oder gar der Verletzung von Menschenwürde keine Spur, damit greift also der erste Beschwerdepunkt, die vermeintliche Verletzung von Punkt I (1) der Programmrichtlinien, ins Leere. Es werden keine Missbrauchsopfer an den Pranger gestellt, im Gegenteil, sondern fatale Therapie-Suggestionen mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen aufgezeigt. Mit Letzterem befasst sich die Aufarbeitungskommission interessanterweise in ihrer Beschwerde gar nicht, sondern blendet dies gekonnt aus, obwohl es das Hauptthema der Sendung war.

Für den zweiten Beschwerdepunkt versucht die Aufarbeitungskommission die Verletzung der Präsentation differenzierter Sendungen gem. Ziffer I (3) der Programmrichtlinien zu argumentieren. Da die Kommission in ihrer Beschwerde die ebenfalls in der Mediathek abrufbare ZDF-Doku „Die Kinder von Lügde“ lobend herausgreift, hat die Beschwerdeführerin selbst den Beweis für die Ausgewogenheit der Gesamtberichterstattung des ZDF erbracht. Zudem wurde das Magazin Royale im Nachgang zusätzlich thematisch eingebettet. Dieser Beschwerdeaspekt ist also gegenstandslos.

Der dritte Beschwerdepunkt der Aufarbeitungskommission zielt auf eine vermutete verhetzende Wirkung ab. Unter Punkt III (8) der Programmrichtlinien heißt es: „Im Gesamtangebot ist die Wirkung von Gewaltdarstellungen zu berücksichtigen. [Absatz; Anm.] Die Angebote dürfen keine verrohende oder verhetzende Wirkung haben. Die Darstellung von kriminellen Handlungen, Sucht oder Gewalt darf nicht vorbildlich wirken oder zur Nachahmung anregen. Hinweise auf Strafe oder Wiedergutmachung sowie auf Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten sollen nicht fehlen.“ (Programmrichtlinien, S. 3) Die Beschwerde der Aufarbeitungskommission greift sich aus diesem Absatz allein die Formulierung „verhetzende Wirkung“ heraus und liefert dazu eine allgemeine Duden-Definition. Der Gesamtzusammenhang des Punkt III (8) der Richtlinien befasst sich jedoch mit der Wirkung von Gewaltdarstellungen. Wie im obigen Zitat deutlich markiert, befindet sich ein Absatz im Text, jedoch lässt sich daraus kein direkter Hinweis entnehmen, dass mit „verhetzender Wirkung“ ein anderer Kontext als eben diese Gewaltdarstellungen gemeint ist. Darauf hinzuweisen verabsäumt jedoch die Kommission. Demgemäß ist es in casu inhaltlich nicht möglich, den Sachverhalt unter Punkt III (8) zu subsumieren.

Der vierte und letzte Beschwerdepunkt bezieht sich auf die Verletzung der Pflicht zur Ausgewogenheit nach Ziffer IV (3) der Programmrichtlinien. Hierzu können analog die Ausführungen zum zweiten Beschwerdepunkt herangezogen werden.

Demzufolge hat es die Aufarbeitungskommision klar verabsäumt, die Verletzung der ZDF-Programmrichtlinien schlüssig festzumachen. Dennoch haben Sie als ZDF-Fernsehrat dieser unzureichend begründeten und faktisch nicht haltbaren Beschwerde stattgegeben.

III. Einordnung der Verschwörungstheorie in den medialen & wissenschaftlichen Diskurs:

Mit der Depublikation dieser aufklärenden Sendung haben Sie der unkritischen Verbreitung des Narrativs über Satanic Panic Vorschub geleistet. Wir sprechen hier nicht von einer „normalen“ Verschwörungstheorie, sondern von einer suggestiven Therapiemethode, die Opfer fordert – und zwar unter äußerst vulnerablen Trauma- und Missbrauchbetroffenen, die durch Fehltherapien keine Hilfe für ihr Leiden erhalten, sondern in eine irreale Scheinwelt gestoßen werden. Die Folgen derartiger höchst gefährlicher Fehltherapien sieht man in der Schweiz, wo der SRF rund um Robin Rehmann seit mehreren Jahren federführend ist, die Klinik-Skandale aufzudecken. Hierzulande haben die von Herrn Böhmermann zitierten Artikel des Spiegel hervorragende Aufklärungsarbeit geleistet und u.a. über das tragische Schicksal einer jungen Mutter berichtet, der infolge dieser Fehltherapie das Sorgerecht für ihre kleine Tochter entzogen wurde.

Mit Ihrer Entscheidung stellen Sie sich auch gegen den vorherrschenden Konsens unter renommierten Forschenden, die in zahlreichen Gutachten, Studien und anderen Publikationen festgehalten haben, dass Mind Control und rituelle, satanistische Gewalt in der von den Anhängern der Verschwörungstheorie propagierten Form jeglicher wissenschaftlicher Beweisbarkeit entbehren. Für aktuelle Quellen verweisen wir exemplarisch auf den Artikel in „Praxis der Rechtspsychologie“, November 2023, von Prof. Dr. Susanna Niehaus und Prof. Andreas Krause (Studien über Mind Control, gezielte Personlichkeitsaufspaltungen und induzierte Amnesien) aus dem vergangenen Jahr.

Der wissenschaftliche Konsens dieser Publikationen zeigt klar, dass rituelle Gewalt in satanistischen Zirkeln, wie sie z.B. in den Büchern von Frau Michaela Huber, Protagonistin des Magazin Royale, beschrieben wird, nicht existiert. Exakt auf diesen Umstand hat Herr Jan Böhmermann in seiner Sendung deutlich hingewiesen.

Als Fernsehrats eines deutschen Leitmediums haben Sie eine große Verantwortung hinsichtlich Ihrer Entscheidungen. Dieser Verantwortung sind Sie nicht gerecht geworden. Eine Sendung, die sich der Aufklärung über dieses äußerst gefährliche Thema verschrieben hat, aus Ihrer Mediathek und von YouTube zu löschen, ist exakt das Gegenteil von Opferschutz. Um zu verhindern, dass in Deutschland weitere Opfer gemäß dieser verschwörungstheoretischen Fehlbehandlung therapiert werden, braucht es fundierte Informationen wie eben diese Ausgabe von Magazin Royale.

Es ist zutiefst erschreckend, dass der Fernsehrat vor dieser Programmbeschwerde der Aufarbeitungskommission unter dem Vorwand des vermeintlichen Betroffenenschutzes einknickt. Damit ist der ZDF-Fernsehrat seiner Aufgabe, über die Einhaltung der Grundsätze der Programmrichtlinien in unabhängiger Form zu wachen, nicht nachgekommen. Alles in allem haben Sie dazu beigetragen, zukünftigen und gegenwärtigen Therapieopfern eine seriöse und breit recherchierte Informationsquelle zu verwehren und die wissenschaftliche Aufklärung darüber zu untergraben. Oder anders ausgedrückt: Sie haben den ZDF-Journalismus einer aus den Programmrichtlinien nicht rechtfertigbaren, inhaltlichen Zensur unterworfen.

Mit freundlichen Grüßen,

Marvel Stella und Nora Sillan,

Berlin, den 13.12.2023

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2 Kommentare

  1. Man sollte die Nähe der Beschwerdeführer zur Satanic Panic mehr betonen. Frau Huber ist auf den Seiten der Kommission im Bild zu finden. Peer Briken, ehemaliges Mitglied hat Mind Control in der Wissenschaft mit salonfähig gemacht um dann halbherzig zurückzurudern.
    Das die Täter sich über Aufklärung beschweren ist logisch. Das der Fernsehrat dem ohne inhaltlich Begründung zustimmt ist dagegen ein Angriff auf die Demokratie.

    1. Hallo Herr Jansen,

      die Nähe der Beschwerdeführer zur Satanic Panic wurde in dem zweiten Brief: “Die Sicht einer Betroffenen” mehr zum Ausdruck gebracht, den wir aus Sicherheitsgründen nicht online gestellt, sondern nur an die entsprechende Adresse geschickt haben.
      Sie haben damit natürlich vollkommen recht. Es hätte auch öffentlich mehr zum Ausdruck gebracht werden müssen.

      mit den besten Grüßen
      Marvel Stella

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