Positionspapier – Teil 1

Im Sommer des vergangenen Jahres wurde ein von zahlreichen Fachgesellschaften unterzeichnetes „Positionspapier zur psychotherapeutischen Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauchs“ veröffentlicht. Genau dieses Positionspapier ist in der aktuellen Verbandszeitschrift der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung, Psychotherapie Aktuell, erneut erschienen, was im Netzwerk der DIS-Subkultur erwartungsgemäß großen Anklang gefunden hat. Zu meiner großen Verwunderung führte es sogar zu einem Gefühl der Überlegenheit:

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Tja ich würde sagen: Wir haben ein paar mehr auf unserer Seite. ☺️
Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind es dreizehn. Dreizehn große und wichtige Fachverbände!
Das hebelt das Argument, es seien nur ein paar angeblich Verschwörungsgläubige Therapeuten, die ihre Klienten fehlbehandeln, doch ziemlich aus. All die Fachgesellschaften, die hinter uns stehen und sich eindeutig positionieren, sind eine überwältigend gute Nachricht für uns Betroffene.“
Quelle

Verwundert bin ich deswegen, weil ich nicht wusste, dass wir uns in einem „Krieg der Rechthaberei“ befinden. Ich dachte tatsächlich, es gehe um Opferschutz und darum, eine überaus notwendige Debatte zu führen, die einzig und alleine den Opfern zu Gute kommt.

Auch muss man sich objektiv fragen, woran wir den Wahrheitsgehalt festmachen wollen: An der Anzahl der Unterzeichner eines Positionspapiers, in dem die Debunking-Bemühungen des „rituellen Missbrauchs“ erneut als Leugnung der organisierten sexualisierten Kriminalität dargestellt werden? Also Verbrechensarten, die niemals in Abrede gestellt wurden.

Empfehlungen

Zwei hervorragende Artikel sind in den letzten zwei Wochen zu dem Positionspapier veröffentlicht worden, einmal von Sebastian Marotzki auf dem Infoportal Satanic Panic und ein anderer von GWUP-Chefreporter Bernd Harder.

Sebastian Marotzki geht detailliert auf das Positionspapier ein. Inhaltlich ist dieser Analyse eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer vielleicht die Hervorhebung dessen, was er über die dissoziative (psychogene) Amnesie schreibt:

Eine psychogene Amnesie unterscheidet sich wesentlich von einer physisch bedingten Amnesie, wie u.a. bei einem Hirnschaden. Der Unterschied liegt darin, dass man sich bei einer physisch bedingten Amnesie nicht erinnern kann und bei einer psychogenen Amnesie nicht erinnern will, wobei das „nicht-Wollen“ nur ein teilbewusster Vorgang ist.

Um das zu verdeutlichen, möchte ich auf die – meine Kindheit betreffende – Amnesie eingehen, die laut der mir zur Verfügung stehenden Daten eine Zeitspanne von mindestens 12 Jahren umfasst. Diese psychogene Amnesie zählt zu den Gedächtnisstörungen und ist kein explizites Symptom der Dissoziativen Identitätsstörung. Auf dem Infoportal Satanic Panic heißt es dazu:

Positionspapier zur psychotherapeutischen Behandlung der Folgen sexuellen Missbrauchs

Eine absolut korrekte Feststellung.

Es gibt bei mir – um meine Gedächtnisstörung als Beispiel zu nehmen – Momente, wo ich mich durchaus an einzelne Situationen aus den ersten 12 Jahren erinnern kann. Kurze Zeit später aber weiß ich nur noch, dass ich mich erinnert habe, nicht aber, was die Inhalte der Erinnerung gewesen sind. Das beweist – neben den wissenschaftlichen Abhandlungen zum Thema Gedächtnisstörung – dass es hierbei um ein „nicht-erinnern-Wollen“ geht und genau das ist nicht möglich, wenn man an einer physisch bedingten Amnesie leidet.

Auch ist es richtig, wenn Herr Marotzki schreibt, dass die Probleme des  Nicht-Vergessen-Könnens bei den meisten Traumaopfern überwiegen. Das ist für jeden Laien logisch nachvollziehbar, wenn man sich die Evolution vor Augen führt: Menschen mussten sich von jeher an Unglücksituationen und/oder Traumata erinnern, um sich künftig davor schützen zu können. Wie sonst sollte unsere Spezies überleben?

Eine „psychogene Amnesie“ kann man sich nur in den heutigen Zeiten leisten, da wir unter anderem durch Regeln und Gesetze vor den meisten Gefahren geschützt werden und uns nur noch in einem sehr geringen Ausmaß selbst schützen müssen.

Um konkret auf die Amnesien bei einer Dissoziativen Identitätsstörung einzugehen, die angeblich (und ständig) bei einem Personenwechsel auftreten: So wie diese seit den 1980er/90er Jahren dargestellt wird, ist sie Teil der Verschwörungstheorie „Satanic Panic“. Diese Darstellungen entsprechen also nicht den Tatsachen. Darauf werden meine Kollegin und ich in der Zukunft noch näher eingehen, wenn wir anfangen, die Dissoziative Identitätsstörung (eine Diagnose, die ich selbst zwei Mal bekommen habe) im Detail zu debunken.

Genauso wie bei dem Artikel von Sebastian Marotzki ist auch diesem Text kaum noch etwas hinzufügen, außer – auch hier – die eine oder andere Hervorhebung:

Bernd Harder im Artikel: Studie zu Falscherinnerungen: Suggestive Praktiken sind ein Problem in der Psychotherapie

Zum Thema Amnesie (und Erinnerungen) habe ich bereits geschrieben, dass es – wenn es um das Überleben der eigenen Spezies geht – logischer ist, sich an etwas zu erinnern anstatt es zu „vergessen“, gerade dann, wenn die Ereignisse eine gewisse Todesnähe herstellen.

Um den Bogen zu den Anfängen der Satanic Panic zu spannen: So schrieb Rosalind Theresa Waterhouse in ihrer 2014 – nach 24-jährigen Forschungen – veröffentlichten Dissertation folgendes:

Zudem hielt sie fest:

Dissertation (übersetzt aus dem Englischen)

Die Erinnerungen sind also in tausenden Fällen erst in der Therapie zutage getreten. Zudem konnte in keinem einzigen Fall die Justiz trotz umfangreicher Bemühungen die erinnerten Strafhandlungen ermitteln. Und exakt diese Problematik – ein Kernaspekt des RG-MC-Narrativs – wird im Positionspapier komplett unter den Tisch fallen gelassen.

(RG-MC = Rituelle Gewalt – Mind Control)

Wie geht es weiter?

Nora und ich werden uns in der kommenden Zeit jeden einzelnen Verband anschauen, der das Positionspapier mitunterzeichnet hat. Dazu gehören (die Linkliste wurde dem Artikel von Herr Marotzki entnommen):

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V.
  2. EMDRIA Deutschland e.V.
  3. Ethikverein e.V. – Ethik in der Psychotherapie
  4. Deutsche Gesellschaft für Trauma & Dissoziation e.V.
  5. Gesellschaft für Psychotraumatologie, Traumatherapie und Gewaltforschung e.V.
  6. Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten e.V.
  7. Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e.V.
  8. Deutsche PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) e.V.
  9. Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V.
  10. Vereinigung für analytische und tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie in Deutschland e.V.
  11. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.
  12. Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V.
  13. Deutscher Fachverband für Psychodrama e.V.
  14. Deutsche Fachgesellschaft für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie / Psychodynamische Psychotherapie (DFT) e.V.

Inzwischen verbleibe ich mit einem Zitat des Soziologen Michael Hill:

Informationen zum Weiterlesen:

Hier geht es zum zweiten Teil

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