Gutachten beweist: Satanic Panic ist eine Verschwörung

Autorin: Nora

Der Untersuchungsbericht zur „Causa Littenheid“ schlägt mit seinen 45 Seiten Umfang wie eine Bombe ein – aber nicht im zerstörerischen Sinne, sondern er räumt gehörig auf: Nicht nur mit den Zuständen in der Schweizer psychiatrischen Klinik Littenheid, sondern mit dem ganzen System von Traumatherapeuten im deutschsprachigen Raum, das den Diskurs um die Dissoziative Identitätsstörung kapert und die Themen „Mind Control und Programmierung“ von einem Fachtag zum nächsten einzementiert: unkritisch, unhinterfragt und unreflektiert.

Für genau diese dringend notwendigen Reflexionen sorgen nun zwei Experten ihres Faches, auf deren Stellungnahme das folgende Gutachten basiert:

Prof. Franz Caspar, emeritierter Ordinarius für klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern und Prof. Werner Strik, der auch als Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern tätig ist.

Vor beinahe einem Jahr hatte die Doku des SRF mit dem Titel „Der Teufel mitten unter uns – Satanic Panic“ für Schlagzeilen gesorgt. Damals recherchierten Robin Rehmann und Ilona Stämpfli wie das verschwörungstheoretische Denken im klinischen Alltag Einzug halten konnte und brachten damit den Stein ins Rollen, der schlussendlich das wissenschaftlich unfundierte klinische Behandlungskonzept rund um Mind Control und rituelle Gewalt zu Fall brachte.

Warum „rituelle Gewalt“ kein Fachterminus ist

Ganz klar betont auch das vorliegende Gutachten, dass es rituelle Gewalt zum Beispiel in Form von Mädchen-Beschneidungen gibt und legt gleichsam dar, wann diese Thematik zum verschwörungstheoretischen Problem wird, nämlich „wenn sie mit Gedankengut verknüpft wird, welches nicht auf überprüften bzw. überprüfbaren Fakten basiert und insbesondere auf der Annahme beruht, dass es Mind Control gibt“ (Untersuchungsbericht, S. 7).

Diese Annahmen von Programmierungen bei der Dissoziativen Identitätsstörung durch Täterkreise sind bei Weitem kein Einzelfall aus dem Nachbarland. Darum sind die Wellen, die dieses Gutachten schlagen wird, auch nicht auf die Schweiz begrenzt, sondern beziehen alles mit ein, wo die Bezeichnung der rituellen Gewalt in den letzten Jahren so überaus inflationär verwendet worden ist. Denn dieser Begriff ist eben kein weltweit anerkannter Fachterminus – auch wenn einige Publikationen von einschlägigen Therapeutenkreisen dies vermuten lassen:

Gemäß aktuellem Wissensstand und internationaler Standards zur Diagnostik wird der Begriff rituelle Gewalt in der Fachterminologie nicht verwendet, da es sich um einen unklaren Sammelbegriff für verschiedene mögliche Traumata handelt, die nicht nur juristisch, sondern auch klinisch spezifiziert werden müssen. Bestimmte therapeutische Kreise bezeichnen mit ritueller Gewalt den planmäßigen, systematisch durchgeführten sexuellen, körperlichen oder psychischen Missbrauch im Rahmen von Zeremonien, wie z.B. satanistischen Ritualen“. (ebd. S. 7)

„Gruselwelt und drittklassiger Horrorfilm“

Im Zentrum der jetzigen Kritik steht ein Workshop zum Thema rituelle Gewalt, den Claudia Fliß in Littenheid im Vorjahr als Weiterbildung für die Mitarbeitenden der dortigen Traumastation gehalten hat. Claudia Fliß („eine der dogmatischsten Verfechter:innen der Mind-Control-Theorie“, wie sie die WOZ Zeitung benannt hat) ist im Themenfeld der „rituellen Gewalt“ keine Unbekannte, sie verbreitet die Thesen von Mind Control schon lange ohne diese klar wissenschaftlich zu untermauern. Damit beschäftigt sich folgender Artikel eingehend:

Zurück zur Clienia Littenheid:

Prof. Werner Strik beschreibt die Präsentationsfolien von Claudia Fliß, die ihrem Workshop zugrunde lagen, mit deutlichen Worten: Es ist „eine mystische Gruselwelt mit Phantasiefiguren (…) und eine völlig aus der Luft gegriffenen Erzählung von allmächtigen Tätern, die ihre Opfer mit übernatürlichen Fähigkeiten gezielt in verschiedene Persönlichkeiten aufspalten. Nicht nur aus wissenschaftlicher und fachlicher Sicht, sondern schon alleine mit gesundem Menschenverstand ist der Inhalt des Referats als grober Unfug zu bezeichnen, der allenfalls das Drehbuch eines drittklassigen Phantasy-Horrofilms inspirieren könnte.“ (ebd. S. 15 f.)

Deutlicher könnte man die Ingredienzien der Mind-Control-These nicht wiedergeben, wobei ein Wort hier zentral erscheint: Fantasie. Genau diese ist in Zusammenhang mit einem therapeutischen Setting „verschwörungstheoretisch, äußerst problematisch und potenziell gefährlich“ (ebd. S. 38), wie der Vortrag von Claudia Fliß in seiner Gesamtheit abschließend bewertet wird.

„Die völlig unrealistischen, durch keinerlei wissenschaftliche Ergebnisse oder nachprüfbare Fakten unterstützten okkultistischen Methoden zur psychologischen Manipulation werden nicht einmal wie Theorien, Geschichten oder Vermutungen, sondern wie selbstverständliche Fakten präsentiert. Dies ist im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung für Therapeuten, die schwerste psychiatrische Erkrankungen behandeln sollen, unverantwortlich.“ (ebd. S. 16)

Im Bericht wird auch ein Beispiel für den Inhalt von Claudia Fliß‘ Vortrag gegeben: dass okkulte Gruppen ihre Opfer in bis zu 500 Persönlichkeiten fragmentieren (vgl. S. 24). Bei der Belegschaft blieben kritisch-entrüstete Reaktionen auf diese Darstellung großteils aus, was die Gutachter als Zeichen werten, dass die Behandler mit der Thematik Mind Control /rituelle Gewalt bereits vertraut waren und deswegen Mind Control für sie keine Absurdität war (vgl. ebd. S. 38).

Verschleierung von Straftatbeständen in einer esoterischen Parallelwelt

Dass die Mind Control Thesen der rituellen Gewalt nicht nur absurd sind, also etwas, worüber man vielleicht achselzuckend den Kopf schütteln könnte, legen die Autoren klar da:

Wenn Straftaten nicht mit strafrechtlichen Kategorien benannt werden, können diese auch juristisch nicht zugeordnet werden (vgl. ebd. S. 16). Und ohne diese Einordnung führt die ominös-nebulöse Konzeption von satanistisch-rituellen Gewalterfahrungen als Trauma-Auslöser zu allem, nur nicht zu Klarheit für die Patienten, sondern schafft eine „esoterische Parallelwelt zwischen gesundem Menschenverstand, Justiz und Wissenschaft“ (ebd. S. 16).

Die Autoren des Gutachtens werden in Folge sogar noch deutlicher in ihrer Argumentation:

Die Zusammenfassung verschiedenster Traumatisierungen unter dem Namen der rituellen Gewalt wird als problematisch eingestuft und ist „de facto eine Verschleierung von Straftatbeständen, die auch im Rahmen einer Therapie so exakt wie möglich definiert werden müssen. Die schrecklichsten Erfahrungen über organisierte Verbrechen wie historische Fakten zu behandeln, ohne die Justiz einzuschalten (Melderecht bzw. Meldepflicht des Therapeuten), erzeugt zudem eine komplizenhafte Mitwisserschaft, die für den therapeutischen Prozess schädlich ist.“ (ebd. S. 42).

Dadurch würden Betroffenen, die diese Ambivalenzen von „derart indoktrinierten Therapeuten“ vermittelt bekommen, an der Hilfsmöglichkeit von Kriminal- und Justizsystem zweifeln. „Die Gefahr sei überall und nicht zu fassen, und nur der Glaube an die Erinnerungen und an die Kompetenz des Therapeuten schienen zu helfen.“ (ebd. S. 16) Dass diese dadurch hervorgerufenen Ängste und Abhängigkeiten seitens der Patienten extrem problematisch werden und die Maßnahmen zum Schutz vor „Täterkontakt“ belastend und unverhältnismäßig sein können (vgl. ebd. S. 15), hat sich  am Klinikum Münsingen gezeigt (siehe: Was man aus der Schweizer Klinik lernen muss) Dort scheint die Verschwörungstheorie  Menschenleben in Form von Patientensuiziden gefordert zu haben, wie die GWUP in ihrem Blog kritisch fragt (siehe: Drei Suizide von Patientinnen an psychiatrischer Klinik wegen Satanic Panic).

Ein „Tango-Tanz“ der Abhängigkeit

Auch die Schilderungen der Patienten von Littenheid lesen sich wie der schlimmste Albtraum jedes Psychiatrieaufenthaltes. Anstatt Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung der Patienten zu stärken, kam es zu einem sich gegenseitig verstärkenden „Tango-Tanz“ (ebd. S. 26) zwischen Therapeuten und Patienten. Das psychische Leid, das hinter den persönlichen Schicksale der Patienten steckt, deren Schilderungen in kurzen, knappen Worten im Bericht Eingang gefunden haben, ist nur schwer zu fassen:

Es gab Patienten, die erst in der Klinik von ritueller Gewalt gehört hatten und auf die unglaublicher Druck ausgeübt wurde, denen sexueller Missbrauch durch den Vater suggeriert wurde, obwohl sie dem eindeutig widersprachen, die jedoch irgendwann das sagen, was der Arzt hören will. Eine Patientin sollte in Bezug auf die Anteile, mit denen sie nichts anfangen konnte, so tun als ob das real wäre. Eine andere Patientin brach nach Klinikanweisung den Kontakt zu ihrem näheren Umfeld wegen potenzieller Täterschaft ab (vgl. S. 21 ff.).

Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass Verstärkung und Suggestion seitens der Therapeuten Gefahr laufen, bei Patienten false memories zu erzeugen (vgl. ebd. S. 15). Sie bezeichnen derartige Therapien als krankheitsförderndes Vorgehen, wo auch Persönlichkeitsanteile unkritisch akzeptiert oder sogar kultiviert wurden und Erinnerungen suggestiv erfragt und als Fakten behandelt (vgl. ebd. S. 43). Die „besondere Suggestibilität des rekonstruktiven Gedächtnisses“ sowie der aktuelle Stand in der Gedächtnisforschung wurde in den Therapien ebenso wenig berücksichtigt (ebd. S. 41). Auch fehlte die Differenzialdiagnostik zu anderen Erkrankungen und die diagnostischen Kriterien der DIS wurden nicht korrekt angewendet. Im Gegenteil, es entstand der Eindruck einer „situativen Beliebigkeit“ der verwendeten Diagnosen (vgl. ebd. S. 41 ff.), was den Regeln der ärztlichen Kunst widerspricht, wenn satanistisch-rituelle Gewalt als Glaubensbekenntnis dient, das mit einem pseudo-wissenschaftlichen Codebuch zu Programmierung untermauert wird (vgl. ebd. S. 42).

„Es scheint, als ob die Bezeichnung und der Umgang mit verschiedenen Verhaltensmustern als separate Persönlichkeiten weniger eine systematisch wirksame Behandlung war, sondern eine Methode zur Bildung einer geschlossenen Gemeinschaft mit einem esoterischen Krankheitsmodell“, so urteilt Gutachter Professor Dr. Strik über die angewandten Therapien. (ebd. S. 42).

Persönliche Ursachen und verschwörungsfördernde Faktoren

Wie konnte es so weit kommen, dass die Thesen von satanistisch ritueller Gewalt und Mind Control derart Eingang in die Traumabehandlung finden? „Er hatte die Faszination für dieses Thema“ (S. 27), sagte die leitende Klinikärztin und meinte damit den früheren leitenden Oberarzt der Traumatherapie-Station. Im Gutachten wird dieser mit „Dr. X“ anonymisiert (auch wenn sein voller Name im vergangenen Jahr Eingang in die Berichterstattung gefunden hat, soll auch in diesem Artikel die Anonymisierung aufrecht erhalten werden). 

Von der Klinikleiterin, seiner direkten Vorgesetzten, wird diese Faszination derart beschrieben, dass Dr. X nicht nur seine innere Distanz verloren hatte, sondern auch sich selbst in diesem Thema (vgl. ebd. S. 4).

Die Schweizer Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde vermerkte in ihren Akten, dass Dr. X für eine Patientin, die er in den Fängen eines Kultes mutmaßte, zu besonderen „Ritualtagen“ einen Schutzaufenthalt in der Klinik zu organisieren versuchte bzw. sie zur polizeilichen Fahndung ausschreiben gelassen haben soll, da sie im Rahmen der rituellen Gewalt umgebracht werden könnte (vgl. ebd. S. 20). Wie die Behörde allerdings in Folge festhält, sind die Spitalsaufenthalte dieser Patientin im Lauf der Behandlung nicht weniger geworden, sondern eher angestiegen.

Neben der persönlichen Verstrickung des Oberarztes in diese Verschwörungstheorie scheint deren Ausbreitung an der Clienia Littenheid auch ein anderer Umstand gefördert zu haben: Das Schweizer Institut für Psychotraumatologie (SIPT) bescheinigte den dortigen Traumastationen erst unlängst, dass diese nach den üblichen Qualitätsstandards arbeiteten. Die Sache hat jedoch einen entscheidenden Haken: Die Ausbildung, Supervision und Zertifizierung der Klinik erfolgten durch die gleiche Institution, das SIPT, und genau diesen Zirkelschluss mache die Zertifizierung „wertlos“, wie die Gutachter Sack/Schnyder schreiben (vgl. ebd. S. 45).

In dieser Klinik ist – um es zusammenzufassen – alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte und genau deshalb konnte eine Verschwörungstheorie derart Fuß fassen.

Vertuschung, Verschwörung und vieles unklar

Wer nun vermutet, die Klinik hätte nach Bekanntwerden der ersten Gerüchte um Satanic Panic an deren Aufklärung lückenlos mitgearbeitet, der irrt gewaltig: Die Klinik Littenheid gab im Frühjahr 2022 bei Prof. Dr. Martin Sack und Prof. Dr. Erich Schnyder ein Gutachten in Auftrag, welches sie im Folgenden als Entlastungsbeweis zu verwenden versuchte, dass die vom SRF vorgebrachten Verschwörungstheorien unzutreffend wären. An den Traumstationen gebe es keine Probleme, so der Tenor von Klinikleitung und Oberarzt in einer darauffolgenden Stellungnahme (vgl. S. 33ff.) Jedoch wurde das Gutachten von Sack/Schneyder nicht korrekt wiedergegeben, denn in diesem finden sich durchaus sehr kritische Punkte, die allerdings in einem ersten Versuch von der Klinik unter den Teppich gekehrt wurden.

Wie kam es jedoch dazu, dass im Gutachten der beiden Experten die Problembereiche rituelle Gewalt und Mind Control gar nicht erwähnt wurden, obwohl gerade diese Dinge Ausgangspunkt der Doku vom SRF gewesen waren? Genau diese Frage wurde anschließend den beiden Gutachtern gestellt und es stellte sich heraus, dass die Experten bei der Klinik im Vorfeld angefragt hatten, ob diese Themen in ihren Bericht einfließen sollten. Die Antwort seitens der Klinik war ein ausdrückliches Nein (vgl. S. 35 f.) bzw. waren diese besonderen Themen „explizit nicht gewünscht“ (ebd. S. 37).

Als ob dies nicht schon genug wäre, findet sich im aktuellen Gutachten auch noch ein pikantes Detail: Die Klinikleiterin hat nach Fertigstellung des Gutachtens von Sack/Schneyder bei diesen angefragt, ob sie das Gutachten in gekürzter Form der Klinikstellungnahme beilegen könne, die an offizielle Stellen des Kanton Thurgau ging. Was jedoch herausgestrichen wurde waren die Empfehlungen der beiden Experten und die kritischen Stellen zum Wirksamkeitsnachweis der Therapien. Dazu hatte die Klinikleiterin das PDF in ein Word-Dokument umgewandelt. Die Unterschriften der beiden Experten waren allerdings nach wie vor darunter zu finden (vgl. ebd. S. 36). Natürlich stellten die beiden Gutachter sofort klar, dass es „nur eine Version des Gutachtens gebe, und zwar die der Gutachter“ (ebd. S. 36).

Causa Littenheid – die Folgen:

Die aufsichtsrechtlichen Konsequenzen hinsichtlich der Vorgänge in der Klinik Littenheid liegen beim Kanton Thurgau, doch die kritisch zu hinterfragenden Konsequenzen liegen bei uns allen:

Welche Pseudo-Fachbegriffe wie Mind Control & Co übernehmen wir unreflektiert, weil es ja „Fachleute“ sind, die diese Begriffe verwenden? Und wo liegt es an uns allen – DIS-Betroffenen, Verbündeten und Medienvertretern – genau hinzusehen und immer wieder nachzubohren: Was sind die wissenschaftlichen Beweise hierfür? Und wo besteht die Gefahr, dass die oftmalige Wiederholung eines Begriffs in einschlägigen Fachtagungen und -publikationen irgendwann dessen vermeintliche Legitimitätsbasis bilden?

Erst vor wenigen Tagen stellten wir auf dieser Webseite die Frage, was man aus dem Skandal um die Schweizer Klinik Münsingen lernen muss, welche Auswirkungen er auf den gesamten deutschsprachigen Raum hat: Was man aus der Schweizer Klinik lernen muss.

Nun hat sich diese Frage eindeutig geklärt und das fachliche Erdbeben in der Schweiz wird auch seine Nachbeben in Deutschland hinterlassen: Es müssen die von bestimmten Therapeuten rauf und runter gebeteten Konzepte der rituellen Gewalt kritisch durchdacht und deren Einfluss auf klinische Praxis evaluiert werden. Dazu bedarf es empirisch fundierter Forschung anstatt von verschwörungstheoretischen „Glaubensbekenntnissen“. Und es sollten dringend einige satanistisch-rituell angestaubte Fachbücher neu geschrieben und von der Verschwörungstheorie befreit werden – oder, falls dies nicht geschehen sollte, aus den Bücherregalen der Praktiker.

Der Abschlussbericht zu Littenheid hält klar fest:

„Therapeuten haben eine besondere Verantwortung und dürfen sich der kritischen Auseinandersetzung mit Wissenschaft, Justiz und der anerkannten Fachwelt nicht durch begriffliche Vernebelungen entziehen“
– Quelle: https://www.tg.ch/public/upload/assets/137238/Untersuchungsbericht.pdf?fp=1, S. 16

Vielleicht ist das nun genau der Paradigmenwechsel, den es so dringend gebraucht hat, um die Erkrankung der dissoziativen Identitätsstörung aus dem esoterischen Licht herauszuholen, in den sie einige „Klassiker“ unter den deutschen „Fachbüchern“ gestellt haben: weg von der Konzeption der DIS-Patienten als programmierte, kultgesteuerte Roboter hin zu einem neuen Verständnis der Störung mit ihren Verwurzelungen in der Hysterie und ihren Verwandtschaften zur Borderline Persönlichkeitsstörung.

Auch die theoretischen Ansätze, auf die sich Mind-Control-gläubige Therapeuten so oft stützen, müssen nun kritisch hinterfragt werden, so u.a. das Konzept der strukturellen Dissoziation nach Ellert Nijenhuis, welches die Aufteilung bei einer Dissoziativen Identitätsstörung in ANP (anscheinend normaler Persönlichkeitsanteil) und EP (emotionaler Persönlichkeitsanteil) vornimmt: Es verfügt „über keinen empirischen Wirksamkeitsnachweis und [kann] deshalb heute nicht mehr als aktuell bezeichnet werden.“ (ebd. S. 34)

Kurzum: raus aus der Esoterik und rein in eine seriöse Behandlung von Patienten, die diesen keine rituellen Missbrauchs-Horrorstorys suggeriert, sondern ihnen hilft mit ihrer Diagnose umzugehen – seriös, konstruktiv, wissenschaftlich fundiert. Denn nur so kann verhindert werden, dass die Satanic Panic weitere Leben zerstört und Opfer unter den Patienten fordert: durch suggestive bzw. regressive Fehlbehandlung  – oder im schlimmsten Fall durch Suizid.

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4 Kommentare

  1. Eure/deine Berichterstattung finde ich klasse, meinen höchsten Respekt zu dieser Arbeit!

    In Deutschland wird es in meinen Augen nicht ganz so einfach, wobei ich stark hoffe, dass es anders kommen wird:

    1. Das Familienministerium unterstützt die Thesen durch die Arbeit der/des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten.
    2. Die Kirche hängt mit ihren Beratungsstellen für Ehe, Familie und Leben, sowie ihrer Sektenberatung mit drin. Bereits bei den kirchlichen Missbrauchsskandalen überlässt man die Aufklärung den Kirchen eher selbst, obwohl es offensichtliche Straftaten sind.
    3. Bisher habe ich einen Landtag, sowie drei Ministerien, zu dieser Thematik angeschrieben. Wenn man Glück hat bekommt man nach Erinnerung überhaupt eine Empfangsbestätigung. Man könnte es als „Das große Schweigen der Behörden“ bezeichnen.

    Eine mir bekannte Betroffene war zu einem Vorgespräch an der Uniklinik Heidelberg (Station von Baeyer). Als sie von Induzierung und ritueller Gewalt berichtete, sagte man etwas der Art „Ja, solche Fälle hatten wir hier auch schon“. Inwieweit diese These dort ebenfalls vertreten ist kann ich nicht beurteilen, aber die eindeutig fachliche Ablehnung gegenüber der rituellen Gewalt-Thesen war nicht vorhanden.
    Die Klinik hatte sich anschließend zum Glück nicht mehr gemeldet, wobei die Betroffene – nach diesem Gespräch – auch nicht mehr hingegangen wäre.

    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!

    Herzliche Grüße
    Sebastian

    1. Hallo Sebastian,
      ich freu mich sehr über dein Feedback zu meinem Text und dein Lob für unsere Berichterstattung auf der Webseite 🙂

      Die Skepsis deiner Bekannten gegenüber dieser Klinik kann ich sehr gut nachvollziehen, es scheint in Deutschland in manchen Einrichtungen/Therapiezentren leider (!) keine klare Abgrenzung gegenüber diesem Narrativ zu geben.

      Es bleibt zu hoffen, dass das Gutachten über Littenheid auch hier ein wenig für Umdenken sorgt. Einfach wird es sicher nicht werden, denn die Lobby bestimmter Traumatherapeuten plus Kirche plus Aufarbeitungskommission/ Betroffenenrat der UBSKM ist groß…. Allerdings ewig die Augen zu verschließen gegenüber Beweisen aus Wissenschaft und seitens anerkannter Psychiater (die beiden Schweizer Gutachter, Frank Urbaniok etc.) bzw. Psychologinnen (Lydia Benecke, Julia Shaw) und vielen anderen wird hoffentlich nicht funktionieren.

      Frank Urbaniok hat das Gutachten bereits als „Meilenstein“ bezeichnet (https://twitter.com/Urbaniok/status/1599174060482887681?s=20&t=1WHMT1o7W0iw-TDaJcqBNA) und ich hoffe einfach, dass die mediale Berichterstattung zu diesem Thema auch hier dem Vorbild der Schweizer Doku folgt und am Ball bleibt.

      Herzliche Grüße retour,
      Nora

  2. Ich bin anderer Meinung. Dass Kinderpornografie existiert ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Was glauben sie, wie die produziert werden? Unter genau solchen Umständen des organisierten Verbrechens. Die Mafia galt auch lange als Verschwörungstheorie. Das möchte ich ihnen nur nahelegen, darüber nochmal nachzudenken

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