DIS gibt es nicht? Dr. Urbaniok hat Zweifel

ab Minute 00:35, Dr. Frank Urbaniok Quelle

Ich glaube, es gibt bei diesem schwierigen Thema keinen einzigen Menschen, der – wenn er sich lange Zeit damit kritisch beschäftigt hat – an die Dissoziative Identitätsstörung glaubt. Je umfangreicher das psychologische Wissen ist, desto stärker können die Zweifel werden, denn vieles von dem, was man sieht – und man sieht leider gar nichts anderes mehr – widerspricht allem, was die Psychologie lehrt. Auch erkennt man klare Muster, wie sie u.a. bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung vorkommen (was ich ohne jede Wertung schreibe). Man weiß, wohin Therapien bei diesen Betroffenen führen können, wenn sie so erfolgen, wie man es in den Kreisen der Satanic Panic-Verschwörungstheorie sieht und erlebt.

Auch ich begann zu zweifeln – was eigentlich grotesk ist, wenn man bedenkt, dass ich diese Diagnose zwei Mal in meinem Leben bekommen habe (1995 und 2008). Ich begann nicht nur zu zweifeln, sondern auch zu leugnen. Die Leugnung ging soweit, dass ich alles, was zu mir gehört, aus meinem Kopf verbannen wollte. Ich habe mich verleugnet. Das war einer der Gründe, wieso ich bei dem Thema nach eineinhalb Jahren pausieren musste. Mir wurde diese Störung fremd und ich begann so wie schon lange nicht mehr zu dissoziieren – ganz nach dem Motto: „Das, woran ich arbeite, gehört nicht zu mir. Das hat mit mir nichts zu tun.“

Unterm Strich komme ich nicht drumherum, Dr. Frank Urbaniok zu verstehen, wenn er als forensischer Psychiater anzweifelt, ob es dieses Krankheitsbild gibt. Ich verstehe ihn nicht nur, ich stimme ihm sogar zu. Auch bei mir ist die Skepsis sehr groß und ich denke:

  • Diese Krankheit, die seit Jahrzehnten in Fachbüchern insbesondere durch Traumatherapeut:Innen beschrieben wird, gibt es nicht.
  • Diese Krankheit, die in Traumatherapie-Schulungen gelehrt wird, gibt es nicht.
  • Diese Krankheit, die leider unzählige Therapeut:Innen in der Praxis behandeln, gibt es nicht.
  • Diese Krankheit ist in genau der Ausprägung, wie man sie zu Gesicht bekommt, das Produkt einer symbiotischen Zusammenarbeit zwischen Therapeut:Innen und Patient:Innen.

Ich glaube, dass jeder, der sagt, dass es diese Störung gibt, die Entwicklung ausblendet. Es kann doch gar keiner (oder kaum einer?) wissen, ob es diese Krankheit wirklich gibt, denn:

Dissoziative Identitätsstörung vs identitäre Dissoziation

Wenn ich nun der Meinung bin, dass es diese Krankheit nicht gibt, sage ich dann: Es gibt keine identitäre Dissoziation? Meine Antwort: Nein!

Man müsste allerdings 100 Jahre zurückgehen, in Zeiten, als dieses Leiden 🔗 „Hysterie“ (diese Webseite befindet sich noch in den Anfängen) genannt wurde, um eine realistische Beschreibung des gespaltenen (doppelten) Bewusstseins – so die damalige Bezeichnung – vorzufinden. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert wurde es sehr ruhig und die Forschung stagnierte. Und dann?

Dann kam die Zeit mit Dr. C. Willbur Siehe: „Gefährliche Vorbilder“ und somit die Verfälschung der Störung und die Gestaltung auf Grund des therapeutisch Begehrten. In dem Moment, wo die Dissoziative Identitätsstörung (damals Multiple Persönlichkeit) in den 70er Jahren zum Hype wurde, u.a. auch durch die Satanic Panic Verschwörung, wurde sie komplett verzerrt. Die Dissoziative Identitätsstörung ist in ihrer Beschreibung und Darstellung – genauso wie der satanisch-rituelle Missbrauch – eine Lüge, die für zahlreiche Patienten zur gelebten und absoluten Wahrheit geworden ist.

Damit sage ich aber nicht, dass die Spaltung der Identität eine Lüge ist. Ich wünschte, der Hysterie-Begriff wäre geblieben, nicht nur aus feministischen und wehrhaften Gründen, sondern auch deswegen, weil man unter diesem Begriff so viel Ursprünglichkeit findet.

Ich habe nach dem Video (ursprünglich auf Twitch entstanden) überlegt, ob ich über mich zu berichten beginne, bzw. wie ich die Teilung bei mir erlebe. Doch das ist nicht möglich, denn das Problem hierbei wird sein, dass ich bereits beim und durch das Schreiben eine Gestalterin bin und dass ich das Erleben in Bilder und Worte kleiden muss und genau damit beginne, das Eigentliche zu verfälschen.

Die Personen, die sich gewöhnlich im Netz als dissoziative Identitäten präsentieren, greifen auf Worte und Bilder zurück, die Therapeuten „erfunden“ haben. Sie alle (zumindest die, die ich vor Augen habe) geben 1:1 ein Skript wieder. Früher nannte ich es das Michaela Huber-Skript. Doch es sind viel mehr Traumatherapeut:Innen als nur Michaela Huber, die Skripte zur Verfügung stellen (eines wie das andere). Es ist ein groß angelegtes Netzwerk von Therapeut:Innen und Patient:Innen, die eine Sprache generiert haben, womit sie aus einer dissoziativen Identität einen stereotypisierten Einheitsbrei kreieren, sodass jegliche Autonomie und Individualität darin erstickt.

Monika Kreusel, selbst eine Betroffene, die aufklärerisch tätig ist, schrieb während der Twitch-Sendung im Chat:

Monika Kreusel

Hier stimme ich ihr in jedem Fall zu. Ich antwortete:

Marvel Stella

In der Praxis verhält es sich genau umgekehrt. Da sind die Anteile das Wesentliche. Sie sind nicht nur Dreh- und Angelpunkt in einer laufenden Therapie, sondern werden auch geformt und manifestiert.

Als ich das erste Mal in den 90er Jahren in die Klinik kam, war ich ein sehr zerbrochener Mensch mit häufigen Amnesien. Dies unabhängig von der psychogenen Amnesie in den ersten zwölf Lebensjahre, die für mich komplett ausgelöscht sind. Die Amnesien sind nicht(!) Ausdruck dessen, dass da jemand übernimmt, sondern Teil der Gedächtnisstörung, an der ich leide. Siehe dazu: Psychogene Amnesie und Fugue.

Zusammenfassend kann man sagen, dass ich in die Klinik kam:

  • ohne eine kohärente Identität,
  • mit starken Dissoziationen,
  • mit einer fragmentierten Selbstwahrnehmung,
  • mit zahlreichen Konversionsstörungen,
  • mit einer dissoziativen (psychogenen) Gedächtnisstörung, die dafür sorgte, dass ich für 70-80% der familiären Biografie amnestisch war (und heute noch bin) …

… nichts ist schlimmer, als wenn man in diesem Zustand vier ganze Jahre stationär von einer (malignen) Regression in die andere gejagt wird, ohne diese Zustände jemals aufzulösen bzw. auflösen zu können.

Hinzu kommen (Diagnostik 2008): 

und (ein Formular von vielen)

Das war 2008… Noch immer war ich zerstört, unter anderem auch wegen der Klinik in den 90er Jahren. In den Folgemonaten wurde ich stabilisiert und einiges konnte korrigiert werden. Die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ bekam ich jedoch trotz allem erneut.

Ich füge diese Formulare hier ein, weil ich zeigen möchte, dass bei einer Diagnostik sehr viel mehr dazu kommt, als einfach nur die Anteile zu begutachten, die man pflegt und hegt. Mitunter hört man Therapeut:Innen sagen, sie hätten Jahre gebraucht, um bei diesen/jenen Patienten die Anteile „herauszuarbeiten“. Das zeigt in der ganzen Bandbreite das Ausmaß der missbräuchlichen Vorgehensweise.

Was mich damals als junge Frau prägte und was mir vor allem in der vierjährigen Klinikzeit (kein Satanic Panic-Bezug) bewusst geworden ist, war der Hang zur Verschmelzung. Mit vielen Menschen, die ich bemerkenswert fand, verschmolz ich buchstäblich: Ich verinnerlichte deren Stimme, die zur eigenen wurde, deren Mimik, die sich eingebrannt hatte, deren Werte, die ich übernahm. Die fremde Stimme hörte ich aus meinem eigenen Mund und die Mimik (und Körperhaltung) sah ich vor meinem geistigen Auge, wenn ich sprach. Ich glaube, meistens löste sich das nach einer gewissen Zeit wieder auf. Nur bei denen, die in meinem Leben eine ganz besondere Bedeutung hatten, wurden „es“ zu einem ausgeprägten Zustand, nämlich dann, wenn ich die Personen, mit der ich „eins war“, durch ein Trauma verlor.

Zustände

Ich hatte früher immer eine sehr große Fantasie. Erschütternd fand und finde ich, dass man in Kreisen derer, die im Netz als Dissoziative Identitätsstörung auftreten und agieren, die Gabe zur Fantasie geleugnet hat. Warum das so ist? Sie hatten und haben panische Angst davor, als Fake oder als Artefakt zu gelten, also als jemand, der sich alles nur einbildet. Aus dieser Angst, man würde sie nicht als „echt“ empfinden, begannen sie damit, falsche Theorien zu verbreiten, was dann auch „offiziell“ wurde, wenn auch nur im Netzwerk der Verschwörungstheorie. Siehe: Trauma vs Fantasie-Model.

Wenn es überhaupt irgendeinen Menschen gibt, in dem ich mich wiederfinde, dann sind es die Darstellungen von Anna O, also der Fallname, unter dem Bertha Pappenheim von Josef Breuer im 19. Jahrhundert behandelt wurde. Sie war sehr oft in ihrem Privattheater, was mich – neben vielen anderen Dingen – mit ihr eint. Mein halbes Leben verbrachte ich darin. Als junges Mädchen suchte ich jede Möglichkeit, um Zeit in meinem Privattheater zu verbringen. Darin kamen oft auch Menschen vor, mit denen ich zuvor verschmolzen bin. Es waren sichere und ungefährliche Räume, in denen sie manchmal ein eigenes wunderbares Leben bekamen.

Meine Zustände (Anteile) verändern sich – wenn sie länger präsent/da sind – auch körperlich. Die Betonung liegt auf „wenn sie länger da sind“. Die körperlichen Erscheinungen passen sich dem Zustand an. Unter anderem war es viele Jahrzehnte so (vor dem Klimakterium), dass die Menstruation ausgeblieben ist, wenn der Zustand aktiv wurde/war, der sich als geschlechtslos empfindet. Eine simple identitäre Dissoziation ist auf Grund der Selbstwahrnehmung in der Lage, den gesamten Hormonhaushalt zu verändern. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Doch genau mit diesen Beschreibungen muss ich sehr vorsichtig sein. Ganz schnell ist man dann wieder an dem Punkt, wo Betroffene mystifiziert werden, denn es trifft zum Beispiel nicht zu, dass die Anteile einer Betroffenen unterschiedliche Krankheiten oder Augenfarben haben können. Siehe dazu: Wissenschaft auf Irrwegen. Natürlich kann sich die Psyche auf den Körper einstellen und umgekehrt, doch auch das geht nicht mit einem sogenannten Switch im Bruchteil einer Sekunde. So etwas braucht viele Tage, Wochen oder gar Monate.

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Um auf meinen ersten Klinikaufenthalt zurückzukommen:

Ich beschrieb – siehe Anker/Link – in welchem Zustand ich in die Klinik kam. Aus der Klinik rausgekommen bin ich nach vier Jahren mit klar strukturierten, voneinander abgekoppelten Persönlichkeitsanteilen. Ich füge ein, was ich vor ca. eineinhalb Jahren lieben Menschen anvertraut habe:

Geschrieben 1999:
Von einer kranken Pflanze nahm man den Ableger. Er wurde in ein Glas gestellt, solange bis er Wurzeln bekam. Ausreichend mit Nährstoffen versorgt, versuchte man ihn neu einzupflanzen. In dieser Welt hier draußen sollte er nun wachsen und reifen. Eine Welt wie ein neuer Trog, die Fassade als Schaufenster und letztendlich die Therapeuten, die den kleinen Ableger züchteten, damit er sich zu einer Pflanze entwickeln kann.
Damit diese Pflanze eines Tages blüht wie die Königin der Nacht. © MS



© Marvel Stella, geschrieben 1999

Und das bezog sich nur auf einen einzigen Zustand/Anteil. Es gab noch weitere.

Werte Traumatherapeuten:

Ihr könnt all das nicht steuern. Egal, was ihr denkt, egal, was ihr fühlt, egal, was in euch abgeht: Menschen, die im Elternhaus gezwungen waren, friedliches Schweigen von bedrohlichem Schweigen zu unterscheiden, hören das Gras wachsen! Ihr könnt es nicht verbergen. Patienten spüren, was ihr vorhabt, was ihr anstrebt, was eure Erwartungen sind, selbst wenn ihr es nicht aussprecht. Wie in dem Zitat von Dr. Frank Urbaniok eingangs erwähnt, läuft der oftmals allzu leichtfertig vergebene „Blankoscheck“ einer DIS-Diagnose Gefahr, zur tabula rasa für Interpretationen eigener Theorien von Therapeutenseite zu werden. Entsprechend hoch ist – in aller Deutlichkeit – eure Verantwortung gegenüber euren Patienten. Und dieser Verantwortung wird man gerade bei Menschen mit dissoziativem Identitätserleben allzu oft nicht gerecht.

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