Q&A zur Reportage „Satanic Panic 3“

Autoren: Nora und Marvel

„Ich hoffe, dass diese Leute, die das immer noch glauben, erkennen, was ihnen passierte, wenn sie meine Geschichte sehen“. Mit diesem Satz fasst Leonie im Q&A einiges zusammen, was die SRF-Dokumentation über ihre Falschtherapie und den Satanic Panic Skandal berichtet.

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Und sie beschreibt, dass die DIS-Diagnose durch die Verschwörungstheorie in einen völlig falschen Kontext gestellt wurde: „Jetzt wird die DIS in die Schublade von Satanismus und Ritueller Gewalt gesteckt. Wenn man mit der Diagnose DIS in eine Traumatherapie gehen möchte, wird man vorneweg abgewiesen oder man landet wieder bei denen, die sagen, das müssen Erinnerungen von rituellem Missbrauch sein, man wüsste es bloß nicht – alles andere wäre zu wenig schlimm.“

„Alles andere wäre zu wenig schlimm“, das ist ein Satz der frappant an das Sprechen im Superlativ diverser deutscher Therapeuten erinnert, wenn sie von „schlimmster Gewalt“ beim Narrativ satanistisch-rituellem Missbrauch sprechen.

Anmerkung von Marvel: Das Problem hat man hier in Deutschland leider auch. Ich glaube, ich hatte damals in den 90ern noch Glück, als bei mir die Diagnose das erste Mal festgestellt wurde. Die Dissoziative Identitätsstörung war zu jener Zeit noch nicht ganz so extrem mit der rituellen (satanischen) Gewalt verkoppelt. Inzwischen kann man beides kaum noch voneinander trennen. Es gibt mittlerweile Psycholog:Innen, für die ein familiärer Missbrauch als Ursache für DIS gar nicht primär in Frage kommt. Dieser Missbrauch ist scheinbar zu normal für die Diagnose. Dazu aber in einem separaten Artikel mehr.

Was kann nun konkret gegen diese Verschwörungstheorie getan werden?

Thomas Ihde-Scholl, Stiftungsratspräsident von Pro Mente Sana, fordert analog zu Einrichtungen in den USA eine nationale, niederschwellige Ombudsstelle, die in diesen Situation hilft. Leonie wird ihren Fall juristisch überprüfen lassen und auch seitens der Schweizer Politik gibt es eine erste Reaktion.

Statement vom Schweizer Bundesrat

Warum auch die Politik bei diesem Thema aktiv werden muss, erklärt der Schweizer Abgeordnete Fabian Molina mit folgenden Worten: „Wenn sich nur die Betroffenen wehren, scheint es offensichtlich nicht zu funktionieren. D.h. es braucht von einer offiziellen Stelle die Klarstellung, dass das falsch ist und viel Leid verursacht. Und es braucht Maßnahmen, wie man die faulen Eier in dieser wichtigen Berufsgattung aussortieren kann.“ Er ist enttäuscht, dass bislang immer noch zu wenig passiert ist.

„Wir werden es nicht verhindern können, dass Leute an Blödsinn oder ans Spaghettimonster glauben. In einer liberalen Demokratie ist das auch noch kein Problem.“ Aber, so fügt Molina hinzu, zum Problem werde es dann, wenn Leute in einer Machtposition das tun bzw. danach handeln. Und Psychiater haben diese Art von Macht in einem Arzt-Therapeuten-Setting. Diese Menschen sind von ihren Positionen zu entfernen – und das gehe nur über den Staat.

Anmerkung von Marvel: Ich habe es bereits hier auf der Seite angesprochen: Suggestive Fehltherapie mit fatalen Folgen. Psychiater, Psychotherapeuten, Traumatherapeuten und Psychologen haben tatsächlich eine große Macht. Natürlich teile ich die Einstellung des Reporters Robin Rehmann und möchte diese hier auch noch einmal bekräftigen.
Therapie an sich ist überaus heilend und wichtig. Eine gute Therapie kann die Beschwerden eines Patienten beseitigen, zumindest lindern und erträglich machen. Therapieplätze sind rar, der Bedarf sehr hoch. Umso schlimmer, wenn dann auch noch in bestimmten Traumatherapie-Kreisen Missbrauch mit dem Missbrauch stattfindet.

Ausgehend von der Reportage des SRF stellte der Politiker Molina eine Anfrage an den Bundesrat, was dieser gegen diese Verschwörungserzählungen im psychotherapeutischen Kontext zu unternehmen gedenke.

In der Beantwortung der Interpellation heißt es: „Dem Bundesrat ist die in den entsprechenden Medienberichten dargelegte Problematik bekannt. Er ist der Ansicht, dass solche Theorien und Falschinformationen bei Betroffenen großen Schaden anrichten können. Der Bundesrat verurteilt entsprechende Praktiken. Auch die nationalen Verbände der Psychiatrie und Psychotherapie halten fest, dass für missbräuchliches Verhalten im therapeutischen Kontext eine Nulltoleranz gelte. Sie weisen darauf hin, dass die Patientensicherheit in der psychiatrischen Versorgung höchste Priorität hat.“ (Stellungnahme des Bundesrats vom 21.08.2022)

Auch wenn in Folge auf die Aufsichtspflicht der Kantone über die Berufsausübung als Psychotherapeut verwiesen wird und kein Verbesserungsbedarf bei der Prävention von Verschwörungsmythen in der psychotherapeutischen Ausbildung gesehen wird – ein erster Schritt ist die Stellungnahme auf jeden Fall: Es ist ein politisches Anerkenntnis, dass diese Theorien bei Betroffenen großen Schaden anrichten und auch eine konkrete Verurteilung dieser Praktiken wird formuliert.

Anmerkung von Marvel: Ich wünschte, ich könnte das so positiv sehen, denn das ist der einzig richtige Umgang mit der brenzligen Situation. Leider bin ich da viel ungeduldiger und teilweise auch emotionaler. Die Behandlung bei Leonie hat etwas offenbart, was alles Bisherige weit übersteigt. Das muss man sich vergegenwärtigen: Diese junge Frau sollte aus Schutzgründen in ein anderes Land (Afrika) gebracht werden. Weit weg von allen Menschen, die sie kannte, ohne den Hauch einer Perspektive. Nichts ist schlimmer und destabilisierender, als wenn einem psychisch kranken Menschen alle vertrauten Wurzeln komplett entrissen werden. Das ist ein Verbrechen. So etwas kann man nicht einfach in den Verantwortungsbereich der Kantone legen.

Reaktion der deutschen Politik – bitte warten

Von derartigen politischen Statements – ein erster, wichtiger Schritt – können Opfer von Satanic-Panic-Falschbehandlungen in Deutschland nur träumen: Hier verbreitet die „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ weiterhin die Rituelle-Gewalt-These mit Publikationen, in denen das Wort „satanistisch“ mehrmals vorkommt (vgl. Wenn Wahrheit Nebensache ist).

Und die UBSKM (durch die Bundesregierung eingerichtet und mit geplanter gesetzlicher Basis in der aktuellen Legislaturperiode) fördert das neue Betroffenen-Netzwerk (Aus unserer Sicht) , in welchem u.a. eine Anhängerin dieser These eine leitende Funktion innehat (siehe: Neues Netzwerk mit Empfehlung der UBSKM).

Ob und wann die deutsche Politik reagiert, steht also weiterhin in den Sternen. Beziehungsweise was noch alles passieren muss, damit es auch hierzulande zu einem Umdenken über diese Verschwörungstheorie kommt.

Anmerkung von Marvel: Es gab (und gibt) hier in Deutschland zahlreiche Menschen wie Leonie. In Selbsthilfegruppen gibt es auch immer wieder Hinweise darauf, wie destabilisierend Traumatherapien sind. Über Jahre hinweg erlebt man bei den Betroffenen permanente Zustandsverschlechterungen.
Anstatt zu schauen, was in den jeweiligen Traumatherapien falsch läuft, fordern Mitglieder des UBSKM-Betroffenenrats (u.a. Alex Stern) eine Erweiterung und Verlängerung der Therapiekontingente (vgl. Martin Sack et. al: Komplexe Traumafolgestörungen, Kap. 36, S.700).
Man verlangt bei Gewaltopfern, insbesondere bei denen, die angeblich rituell-satanische Gewalt erlebten, eine langfristige Therapie, ohne das Risiko schwerer maligner Regressionen zu berücksichtigen.

Für langfristige Begleitungen sind Betreuer zuständig und keine Therapeuten. Eine Therapie stellt einen helfenden Rucksack zur Verfügung, aus dem man im wahren Leben schöpfen und lernen kann. Was eine Therapie nicht tun sollte, ist, Patienten an die Hand zu nehmen, als wären diese unselbstständig wie kleine Kinder. Siehe dazu: Was man aus der Schweizer Klinik lernen muss. Traurigerweise geht es in diesem Artikel auch konkret um das Psychiatriezentrum Münsingen, mit dem jetzt auch Leonie traumatisch konfrontiert wurde.

Eine Therapie darf den Patienten nicht unselbstständiger machen, als er vor der Therapie gewesen ist. Aber genau das passiert. Schlimmer noch, wie der Fall mit Leonie jetzt gezeigt hat: Patienten werden buchstäblich entmündigt. Zwar nicht mit gerichtlichen Maßnahmen, aber mit einer Form der Suggestion und Manipulation, die mindestens genauso viel Gewicht hat.

Wir hoffen, dass alle, die sich mit dem Thema im Sinne einer Aufklärung befassen, sich nicht entmutigen lassen:

  • Lydia Benecke (GWUP); Bernd Harder (GWUP); Robin Rehmann; Ilona Stämpfli; Manuel Möglich; Frank Urbaniok; Ärzte und Psychologen, die (noch) anonym bleiben möchten; Gutachter und alle, die eine klare Position beziehen.

Wir bleiben am Ball!

Dieser Artikel stammt aus der Kategorie: Eine Betroffene spricht (Artikel von unten nach oben)

  1. Suggestive Fehltherapie mit fatalen Folgen
  2. Hugo Stamm über Leonies Fehltherapie
  3. Exzellente Kommentare mit Bravour
  4. Podcast mit Robin Rehmann und Leonie: Verschwörungsmythen in der Psychotherapie
  5. Q&A von Robin Rehmann und Ilona Stämpfli

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