Spiegel: Trauma-Gurus im Visier

Autorin: Nora Sillan

Dass der Spiegel nicht nur fundiert recherchierten Journalismus bietet, sondern auch an einer Story mit all ihren Facetten über Monate hinweg dranbleibt, beweist Christopher Piltz erneut. Nach seiner Reportage aus dem März 2023, die mehr als nur einen Stein ins Rollen gebracht hat, beleuchtet der Redakteur in seinem aktuellen Artikel unter dem Titel Die kruden Thesen des Trauma-Gurus zwei Protagonisten rund um rituelle Gewalt & Mind Control: den Schweizer Psychiater Jan Gysi und die in Bremen arbeitende Traumatherapeutin Claudia Fliß. Beide sind wahrlich keine Unbekannten in der „Szene“, ja man könnte sie sogar als Drahtzieher bezeichnen, wenn es um die Verbreitung dieses Narrativs geht.

Dem Umstand, wie sich diese Verschwörungstheorie dermaßen ausbreiten konnte, geht der Christopher Piltz nun detailliert auf den Grund: „Antworten finden sich quer durch die Republik, in Bremen, München oder Hamburg. Und zwar in Einrichtungen, die Psychotherapeutinnen und therapeuten fortbilden. Aber auch in Fachartikeln und Fortbildungsunterlagen. Unhaltbare Thesen über Gedankenkontrolle haben Einzug gefunden in die psychiatrische Literatur.“ (Quelle: Spiegel)

Um Claudia Fliß, deren Aussagen wir u.a. in unserem Artikel „Verschwörung im Fachbuch“ beleuchtet haben, und die im Gutachten zum Psychiatrieskandal Littenheid als „grober Unfug“ und mögliche Inspiration für das „Drehbuch eines drittklassigen Phantasy-Horrorfilms“ (Untersuchungsbericht, S. 15) bezeichnet werden, ist es jüngst ziemlich still geworden. Die von Fliß jahrelang durchgeführte Therapeutenfortbildung am “Norddeutschen Institut für Verhaltenstherapie” (NIVT) hat nicht mehr stattgefunden, da die Zusammenarbeit seitens des Instituts beendet worden ist, wie der Spiegel berichtet. Für dessen mehrmalige Anfragen war die Therapeutin übrigens nicht zu erreichen.

Auf alles eine Antwort …?

Ganz und gar nicht still ist es jedoch um Jan Gysi geworden – im Gegenteil. Der Schweizer Psychiater distanziert jetzt sich mit allen Mitteln, um nicht (mehr) mit diesem Narrativ in Verbindung gebracht zu werden: sei es die im Nachgang unkenntlich gemachte Passage im Untersuchungsbericht über einen „wichtigen Spin doctor“, sei es die im Zusammengang mit dem mittlerweile aufgelösten „Verein für Opferschutz“ geäußerte “Fußfessel-Idee”. Es gebe keine “keine wissenschaftliche oder kriminologische Evidenz für absichtliche Spaltungen”, schreibt Gysi nun in einer Stellungnahme. Das ist ziemlich interessant – denn mit diesem Satz widerspricht Gysi seinen eigenen Worten in seinem Buch, dass seitens Täterkreise die „gezielte Herstellung dissoziativer Anteile dem methodischen Vertuschen der Straftaten dient.“ (Jan Gysi, „Diagnostik von Traumafolgestörungen“, S. 30) Diese Publikation aus dem Hogrefe Verlag wird übrigens 2024 in einer überarbeiteten und fachlich korrigierten Neuauflage erscheinen, wie der Spiegel recherchiert hat.

Doch die dargelegten (mehr als) deutlichen Verstrickungen Gysis zur Mind Control-These sind noch nicht alles: So ist auch in der ganz aktuellen Seminarankündigung des Münchner THZM (dessen Fachtag zu ritueller Gewalt bekanntlich abgesagt wurde) erneut von „Programmierungen“ die Rede – ebenso bei der themengleichen Veranstaltung in Wien. Auf eine diesbezügliche Anfrage des Spiegels antwortete Gysi, lediglich „über die Problematik des Begriffs sprechen“ zu wollen. (Quelle: Spiegel)

Jan Gysi scheint also wirklich niemals um eine Antwort verlegen. Oder sollen hier etwa Dinge immer wieder „wegerklärt“ werden, um nicht vom Fallout der mittlerweile mehr als debunkten These rund um Mind Control getroffen zu werden? Dieses Narrativ lässt sich nämlich in einem Satz zusammenfassen, wie es ein Fachkollege auf den Punkt bringt: „Das klingt faszinierend dämlich.“ (Quelle: Spiegel)

Dass diese Faszination des Dämlichen Stück für Stück ihren Glanz verliert, dafür sorgt auch das hartnäckige Dranbleiben vom Spiegel. Und zwar so lange, bis die Verschwörungstheorie wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.

Weiterführende Links:

Spiegelberichte von  Christopher Piltz

GWUP-Blogbeitrag von Bernd Harder

Sonstige

Eigene Beiträge von Marvel Stella und Nora Sillan

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