Andreas Hahn im Spiegel-Interview

Autorin: Nora Sillan

Im neu erschienen Interview mit dem Spiegel geht Andreas Hahn (Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen, Dortmund) auf die Hintergründe des Satanic Panic-Narrativs ein und warum sich diese Verschwörungstheorie so hartnäckig entgegen aller Aufklärungen hält: Es sei die „Projektion des absolut Bösen“, was auf viele Menschen eine Faszination ausübe.

Siehe hierzu auch den Bericht von Bernd Harder auf dem GWUP-Blog: Die Projektion des absolut Bösen – Spiegel Interview über satanistisch-rituelle Gewalt.

Andreas Hahn hat schon in seinem Artikel aus 2019 die grundlegenden Argumentationsstrukturen des Narrativs geprüft und auf die „Diskrepanz zwischen Selbstaussagen und gesicherter Datenlage“ hingewiesen. Bereits damals ging Hahn auf einen zentralen Punkt ein, der Kritikern der Satanic-Panic-Verschwörung immer wieder vorgeworfen wird:

„Eine Kritik an der Rituellen-Gewalt-These stellt nicht infrage, dass es sexuellen Missbrauch von Kindern auch in organisierter Form gibt. Auch wird damit nicht grundsätzlich ein traumatisch bedingtes Entstehen dissoziierter Identitäten bestritten.“

Quelle: https://www.ezw-berlin.de/fileadmin/user_upload/ezw-berlin/publications/downloads/Materialdienst_07_2019_243-250.pdf

Diese Klarstellung wiederholt Hahn erneut im aktuellen Spiegel-Interview:

Sexualisierte Gewalt ist ein enormes Problem mit einem großen Dunkelfeld. Sie kommt sowohl in Familien als auch in Institutionen und religiösen Gemeinschaften vor – und manchmal findet sie auch in organisierter Form statt, wie durch viele Beispiele und Skandale belegt ist. Ich und viele andere haben aber berechtigte Zweifel daran, dass dieser Missbrauch entsprechend der »Rituellen-Gewalt-These« stattfindet.“ – eine These, die immer wieder satanistische Geheimkulte und Mind Control thematisiert.

Quelle: Spiegel-Interview, 31.3.2023

Begriffsverwässerung und der eigentliche Skandal

Dennoch scheint diese Message in den Köpfen mancher User auf Social Media noch nicht angekommen zu sein, wenn sie (wieder mal) die „Täterkeule“ schwingen – und das obwohl Christopher Piltz, Co-Autor des Spiegel Artikels (neben einer absolut eindeutigen Haltung im Artikel selbst) nochmals klarstellt:

Niemand spricht Opfern sexueller Gewalt ihr Leid ab – und niemand leugnet organisierte Gewalt wie Menschenhandel, Zwangsprostitution usw.

Doch genau diese (bewusste?) Vermischung von Tatbeständen wird auch von „höchster Instanz“ gefördert, wenn Aufarbeitungskommission und Betroffenenrat immer wieder undifferenziert von „organisierter Gewalt“ sprechen und damit alles in einen Topf werfen (siehe hierzu auch die Artikel: „Sehr geehrte UBSKM“ und „Um den heißen Brei herum„): Begriffsverwässerung leistet keinen Beitrag zur Aufklärung – im Gegenteil.

Was antwortet Andreas Hahn zu dieser Thematik im Spiegel-Interview?

Die Kommission beklagt völlig zu Recht, dass man den Opfern von sexualisierter Gewalt viel zu lange nicht geglaubt habe. Allerdings unterscheidet sie nicht zwischen organisierter und ritueller Gewalt, was aber wichtig wäre. Weltanschaulich kritisieren wir nur die unhinterfragte, angeblich groß angelegte rituelle, in der Regel »satanistische« Form, für die es keine Anhaltspunkte gibt.“

Quelle: Spiegel-Interview, 31.3.2023

Der Sektenexperte schlägt diesbezüglich auch vor, dass finanzielle Mittel, die im Zusammenhang mit dieser „rituellen-Gewalt-These“ ausgegeben werden, für Aufarbeitung und Missbrauchsprävention genutzt werden könnten – „ein Ziel, das uns alle eint“. Der eigentliche Skandal: Hilfebedürftigen Menschen geht es nach einer Falsch-Therapie schlechter als zuvor, so Hahn im Schlusswort des Interviews.

Und genau das ist ein zentraler Punkt, den weder Aufarbeitungskommission noch Betroffenenrat in ihren Stellungnahmen als absolute Priorität anzusehen scheinen: Suggestivtherapien schaden vulnerablen Personengruppen und machen diese zu Opfern – etwas, was so nicht weitergehen darf. Aber konkrete Vorschläge und Maßnahmen dagegen bleiben seitens dieser Institutionen noch immer aus.

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