Um den heißen Brei herum…

Autorin: Nora Sillan

Die Vogel-Strauß-Politik scheint nach den Spiegel-Aufdeckungen bei manchen Anhänger_innen der Verschwörungsszene ziemlich en vogue zu sein: Kopf in den Sand und gar nichts zu kommentieren (frei nach dem Motto „Augen zu und durch“) ist gerade die Lieblingsreaktion gewisser Traumatherapeut_innen.

Oder aber die Stellungnahmen, falls es denn welche gibt, wirken wie Augenauswischerei erster Klasse, so zum Beispiel die Twitter-Botschaften der Aufarbeitungskommission:

Im diesem verlinkten Beitrag auf der Webseite der Aufarbeitungskommission wird immer noch (!) eine „satanistische Ideologie“ erwähnt. Allen Ernstes. Und allen Erkenntnissen zum Trotz.

Bernd Harder hat das Resultat dieses Forschungsprojekts zu ritueller Gewalt auf den Punkt gebracht: „Indem Sie anonyme Online-Befragungen ohne jeden Realitäts-Check fördern, von denen sich jetzt sogar Prof. Briken distanziert hat? (…) Sorry, aber „Forschung“ geht anders.“ (Twitter)

Ein genaues Statement seitens der Aufarbeitungskommission als Forschungs-Financier wird bis dato vermisst – ebenso eine Reaktion auf unseren Offenen Brief an die UBSKM, den wir vor einem halben Jahr veröffentlicht haben.

Die Studie, die „keine Fakten schafft

Übrigens ein pikantes Detail am Rande: Studienleiter Peer Briken war von 2016 bis 2022 Mitglied der Aufarbeitungskommission – also ausgerechnet jener Stelle, die die Forschungsgelder für diesen Auftrag vergeben hat. Ginge es hierbei um Privatwirtschaft, würden kritische Stimmen von Vetternwirtschaft sprechen.

Woher stammen in diesem Fall die Geldmittel? Für die Arbeit der Kommission standen bis Ende 2018 jährlich ca. 1,2 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bereit. Seit 2019 beläuft sich das Budget der Kommission auf ca. 2,3 Mio. Euro pro Jahr.

Geld, das u.a. für Studien über rituelle Gewalt verwendet wurde, die was zum Zwecke hatten?

„Man habe an keiner Stelle behauptet, Fakten zu präsentieren“, rudert Briken im Spiegel zurück. Allerdings widerspricht er sich damit selbst, denn in der Auswertung der anonymen Betroffenen-Befragung (wo als Täterherkunft übrigens besonders häufig „satanistische Kulte“ angegeben werden, vgl. S. 251), steht exakt das Gegenteil geschrieben (und zwar ziemlich großspurig):

Wir hoffen mit dieser Studie die Datenlage zu verbessern und neue Impulse zu setzen, um eine angemessene Unterstützung Betroffener voran zu bringen.“ (Studie, S. 258)

Also was jetzt: Eine empirische, inhaltsanalytische Studie hofft die Datenlage zu verbessern, aber liefert nun doch keine Fakten?! Das wäre dann ja die eierlegende Wollmilchsau – bloß in die umgekehrte Richtung.

Ja, Wissenschaft geht wirklich anders.

Um den heißen Brei herum …

Genauso wie eine klare Positionierung der Aufarbeitungskommission zu ihrer finanzierten Studie ausbleibt, twittern (besser gesagt: eiern) die Kurznachrichten der UBSKM um den heißen Brei herum:

Anstatt begrifflicher Richtigstellungen und einer klarer Abgrenzung wird hier doch allen Ernstes organisierte (!) Gewalt in einen Topf mit den Debatten um rituelle Gewalt geworfen. Dass es bei „organisierter Gewalt“, zum Beispiel Menschenhandel und Zwangsprostitution, absolut gar nichts zu debattieren gibt, sollte Kerstin Claus, Unabhängiger Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, eigentlich klar sein. Begriffsverwässerung trägt nicht zur Aufarbeitung bei.

Wie jedoch im Gegenzug eine wissenschaftliche fundierte und argumentierte Stellungnahme zur Thematik aussehen kann, beweisen die Fachgruppe Rechtspsychologie innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) und der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP):

Opfer werden nicht geschützt, sondern, im schlimmsten Fall geschaffen“

Mit diesen eindringlichen Worten wenden sich DGP und BDP an Bundesfamilienministerin Paus und an Bundesjustizminister Buschmann:

Einige von der Bundesregierung geförderte Webseiten, Leitfäden und Empfehlungen informieren und beraten Opfer sexueller Gewalt leider pseudowissenschaftlich und in Teilen unzutreffend. Dadurch kann sich ihr beabsichtigter Nutzen ins Gegenteil verkehren – Opfer werden nicht geschützt, sondern, im schlimmsten Fall, geschaffen, indem falsche Annahmen von vertrauenswürdig erscheinenden Informationsquellen verbreitet werden.“ (Stellungnahme)

Die beiden Statements (siehe: hier und hier) sind jeweils mit Quellenangaben sowie Verweisen auf Studien und Fachliteratur untermauert – so wie man sich wissenschaftlich fundiertes Arbeiten eben erwartet (leider im Gegensatz zu einer gewissen, oben zitierten Studie).

„Unwürdig“?!

Aus den Antworten (bzw. Nicht-Antworten) und Statements sticht jedoch eine Stellungnahme hervor – und zwar jene des Betroffenenrats: In diesem Schreiben werden tatsächlich die sachlich geführte Aufklärung über satanistisch-rituelle Gewalt und der erschütternde Betroffenenbericht einer jungen Frau als „unwürdig“ tituliert. Was diese (kalkulierte?) Emotionalisierung der Debatte bedeutet, die an völlig unpassender Stelle die Moralkarte ausspielt, analysiert Marvel Stella in einem (zweiten) offenen Brief „Sehr geehrte UBSKM“. Denn eines muss man sich bei der Stellungnahme des Betroffenenrats durchaus fragen: Versucht man mit Kalkül vom eigentlichen Thema abzulenken?

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