WTF-Talk: Satanic Panic Update

Autorin: Nora Sillan

Der zweite WTF-Talk zum Thema Satanic Panic fasst die aktuellen Entwicklungen der Verschwörungsszene zusammen. In einem 1,5 stündigen Special diskutieren Bianca Liebrand, Christopher Piltz, Andreas Hahn sowie Frank Urbaniok mit Lydia Benecke, Annika Harrison, Bernd Harder und Holm Gero Hümmler. Gemeinsam ziehen sie über die Entwicklungen der letzten Monate Bilanz.

An dieser Stelle gleich eine ganz große Empfehlung, das Video zur Gänze anzusehen, da hier nur einige Gesprächspunkte zusammengefasst werden.

Quelle: YouTube-Kanal von Lydia Benecke,

Dass dieses Verschwörungsnarrativ emotional berührt, wird gleich zu Beginn des Talks klar, wenn Bernd Harder festhält: „Das ist keine verrückte Verschwörungstheorie wie viele andere (…), das ist eine der wenigen Verschwörungstheorien, die ganz konkrete Auswirkungen haben: Auswirkungen auf Patienten, auf Menschen, auf Therapien, auf hilfesuchende Leute.“ Und genau darum geht es: um alle Opfer und darum, dass Menschen korrekt behandelt werden.

Doch dies ist leider mitnichten der Fall, wenn man sich die Verbreitung der Satanic Panic und die daraus resultierenden Fehltherapien ansieht. Im letzten halben Jahr hat sich nach Veröffentlichung des ersten Spiegel-Artikels trotzdem einiges getan und ein bisschen Druck aufgebaut: „Es geht nicht mehr so ganz unkommentiert, es geht nicht mehr ganz so frei“, beschreibt Andreas Hahn die Verschwörungsszene. Durch die vorsichtige Positionierung von Fachverbänden komme etwas Bewegung in die Sache. Dennoch stehe zum Beispiel das Amt der UBSKM wie ein „erratischer Block“, kümmere sich nicht um methodologische Kritik und versuche durch begriffliche Aufweichung manches unklar zu machen, so der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelischen Kirche Westfalen.

Zwischen Begriffsaufweichung und vermeintlichem Missverständnis

Bianca Liebrand von der Sekten-Info NRW ortet ebenfalls eine zunehmende Begriffsaufweichung und ein Wording hin zu „destruktiven Kulten“ bzw. „organisierten Netzwerken“. Diese Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Szene betont gleichfalls der forensische Psychiater Dr. Frank Urbaniok, da „Satan“ längst nicht mehr Definitionsmerkmal sei, sondern zum Platzhalter für andere Theorien werde. Auch Bernd Harder spricht von Umdefinitionen: „Man redet nicht mehr von Satan und auch nicht mehr von Programmierungen, sondern man weicht die Definitionen immer weiter auf, sodass das Problem eigentlich gar nicht mehr fassbar ist.“

Neben den Begriffsumdeutungen scheint eine andere Strategie der Distanzierungsversuch seitens Protagonisten der Szene zu sein: Bei Konfrontation mit den wissenschaftlichen Fakten gibt es ausweichende Reaktionen à la: es sei doch alles ein Missverständnis, berichtet Harder.

Derartige „das-habe-ich-so-nicht-gesagt-Aussagen“ kennt auch Journalist Christopher Piltz und plädiert hier für eine klare Haltung: „Wenn diese Aussagen sehr, sehr deutlich sind und es dort keinen Konjunktiv gibt, und sie sehr klare Aussagen sind, die eine Tatsache darstellen sollen, dann hat man dafür natürlich eine gewisse Verantwortung und müsste sich eigentlich dieser Verantwortung stellen.“

Wie haben sich angesichts dieser beiden geläufigen Taktiken die Spiegel-Recherchen zu dieser Thematik gestaltet? Auf die Versuche des Journalisten den Diskurs zu suchen, komme häufig die Antwort, man wäre nur daran interessiert, der ganzen Traumatherapie zu schaden. Doch diese Sichtweise, so Piltz, verhöhnt die Opfer und er berichtet von zwei unterschiedlichen Erfahrungsmustern: Wenn er auf sachlicher Ebene das Gegenüber mit Argumenten konfrontiert, heißt es: ‘Das habe ich so nie gesagt, ich werde missverstanden‘. Konfrontiert man die Szene-Protagonisten jedoch mit den recherchierten persönlichen Geschichten, heißt es im Gegenzug: ‘Das sei persönlicher Frust und jemand versuche, gegen seinen Therapeuten vorzugehen‘. Und genau diese Argumentationsweise immunisiert das Narrativ gegen jede Kritik, fasst der Journalist zusammen.

Doch dies ist für ihn kein Grund, das Thema fallen zu lassen – im Gegenteil. Die Motivation der Spiegel-Redaktion ist klar: „Das ist hier etwas, was sich durch viele, viele Praxen zieht, durch viele Fortbildungen, und wo viele Menschen wahrscheinlich drunter leiden. Und das war der Punkt, wo wir gesagt haben: Hier müssen wir einsteigen und hier hören wir auch noch nicht auf, weil im Gegenzug zu den Schweizer Kollegen wir hier in Deutschland von der Aufklärung noch ganz am Anfang stehen.“

Diese thematische Aufklärung muss auf drei Pfeilern beruhen, fügt Frank Urbaniok hinzu: Erstens braucht es eine kontinuierliche öffentliche Berichterstattung als Türöffner, zweitens die fachliche Aufarbeitung in der Traumatherapie-Szene, um abweichende Meinungen klar von jener roten Linie zu unterscheiden, wo eine Falschbehandlung anfängt und drittens die Klärung etwaiger haftungsrechtlicher Fragen.

Was macht das Spannungsfeld Dissoziative Identitätsstörung und rituelle Gewalt eigentlich so besonders problematisch? Hierzu liefert Dr. Urbaniok einige Antworten:

Diagnose mit Fragezeichen

Der Psychiater beschreibt die Problematik von Kausalitätsillusionen und das Unbewusste als Einfallstor dafür, Theorien von Therapeutenseite den Patienten überzustülpen, die nach Erklärungen suchen. Erschwerend komme Folgendes hinzu: „Die dissoziative Identitätsstörung, das ist das ‘Unbewusste XXL’ (…) und das lädt sehr stark ein, dass jetzt eigene Vorstellungen des Therapeuten in dieses Konstrukt hineingeschrieben werden. Wir sehen das im Bereich dieser rituellen Gewalt.“

Demgemäß plädiert er für Realitätsorientierung als Basis jeder Therapie und merkt kritisch an, dass DIS nicht mehr extrem selten diagnostiziert wird, sondern zur Regeldiagnose geworden ist. Warum das so sei? „Nicht weil sie vorliegt, sondern weil sie den Blankoscheck dafür liefert, dass ich jetzt Theorien in diese Patienten hineininterpretieren kann. Und die wollen ja vielleicht glauben, die haben ein Problem, und die sagen: Gut, dass mir das jemand erklärt. Vielleicht ist das dann auch eine Lebenserklärung und sie nehmen das an. Aber wir haben diese ganzen negativen Phänomene von Falschbeschuldigungen, von Abhängigkeiten in den Therapien, davon, dass die Patienten noch weiter aus der Realität rausgetrieben werden in irre Szenarien. Das ist das Problem.“

Seine persönliche Skepsis, ob es diese Diagnose überhaupt gebe, ist in den vergangenen zwei Jahren erheblich gewachsen, schildert der Psychiater: „Es gibt natürlich Phänomene von schweren Traumafolgestörungen, es gibt dissoziative Phänomene, dass man dissoziiert, unkonzentriert ist, etwas nicht weiß, etwas nicht erinnern kann. Das gibt es alles. Aber ob es tatsächlich strukturell abgespaltene Persönlichkeiten gibt, da mach ich ein großes Fragezeichen dran.“

Wie geht es nun mit der Aufklärung weiter?

Es werden noch mehr Spiegel-Artikel über diese Verschwörungstheorie folgen, kündigt Christopher Piltz an. Und auch das WTF-Team wird dranbleiben, wie Lydia Benecke auf den Punkt bringt: Denn das gemeinsame Ansinnen ist, „dass Menschen dadurch nicht geschädigt werden, in diesem albtraumhaften Konstrukt gefangen zu sein“.

Bis es soweit ist gibt es in der ideologisch festgefahrenen Diskussion jedoch noch einiges zu tun.

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