Autorinnen: Nora Sillan und Marvel Stella
Fortsetzung von Positionspapier – Teil 1
Vorwort
Bereits der vergangene Beitrag hat auf das im Sommer 2023 veröffentlichte Positionspapier Bezug genommen und auf zwei Artikel hingewiesen, die dessen Inhalt im Detail untersuchen. Offen bleibt jedoch die Frage, wer genau hinter diesem Schreiben steckt und vor allem wie sich dessen Unterstützerverbände zum Thema rituelle Gewalt positionieren.
Für diese Frage gibt es zwei Gründe:
- Dem Positionspapier wird auf Grund der Unterschriften ein Gewicht in Form von Bedeutung und Glaubwürdigkeit verliehen, was es nicht hat.
- Regelmäßig (im Laufe der letzten Jahre) wurden wir mit der Aussage konfrontiert, es könne doch nicht sein, dass sich die Verschwörungstheorie durch die ganze Therapeutenszene zieht.
Natürlich sind bei weitem nicht alle Psychotherapeuten betroffen. Doch an Hand dessen, was wir in diesem Artikel aufzeigen, lässt sich durchaus erkennen, dass die Traumatherapie-Szene – wenn auch nicht zu 100% – daran zu leiden scheint.
Hinzufügen möchten wir auch, dass wir an jeden einzelnen Verband mit der positiven Vorannahme herangegangen sind, dass dieser seine Unterschrift mit bestem Wissen und Gewissen unter das Positionspapier gesetzt hat. Wir wissen, wie schwer es gerade auf Grund der Begriffsverschiebungen (geworden) ist, zu erkennen, worum es bei dem Narrativ von ritueller Gewalt tatsächlich geht.
Auf Grund dessen, dass wir selber Traumaopfer sind, möchten wir aufklären, aber nicht anklagen. Opfer sexualisierter Gewalt benötigen dringend Fachverbände, die sich um ihre Belange kümmern, und wir sind wahrlich die Letzten, die beabsichtigen, irgendeinen Verband in Misskredit zu bringen. Vielmehr erhoffen wir uns noch immer, dass sich die gesamte Traumatherapie-Szene von der Verschwörungstheorie der rituell-satanistischen Gewalt loskoppeln kann.
Distanzierung einzelner Verbände
Bereits jetzt scheinen sich einige Verbände von dem Narrativ der rituellen Gewalt zu distanzieren:
Beispiel 1) Die DGPM (Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie) ist mit ca. 1.500 Mitgliedern die größte deutsche Fachgesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Eine Anfrage des Infoportals Satanic Panic zum Positionspapier beantwortete die DGPM folgendermaßen: „(…) Allerdings kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen, da die DGPM das Positionspapier meines Wissens nicht unterzeichnet hat.“ (Quelle: Infoportal Satanic Panic, Sebastian Marotzki) Dies wirft natürlich einige Fragen auf, warum dann die DGPM im Positionspapier als offizieller Unterzeichner gelistet wird …?
Beispiel 2) Im Netz kursieren unterschiedliche Versionen des Positionspapiers. So hat eine unterzeichnende Fachgesellschaft, die VAKJP, die ältere Version mit Stand 8. Juni 2023 auf ihrer Webseite abrufbar. Das Logo des Bundesverbands Suchthilfe e.V. BUS prangt groß in der alten Version des Positionspapiers, fehlt jedoch völlig in der aktualisierten Fassung vom 22. Juli 2023, die EMDRIA aktuell teilt. Dies bietet Raum für Interpretationen, warum eine Fachgesellschaft in der aktuellen Version nicht mehr aufscheint. Hat der BUS etwa seine Unterstützung für das Positionspapier im Nachhinein zurückgezogen?
EMDRIA
Ganz wichtig war für uns ein detaillierter Blick auf die Fachgesellschaft EMDRIA, die das Positionspapier auf ihrer Webseite teilt und u.a. auf LinkedIn und Xing dafür kräftig die Werbetrommel rührt- was man gewiss nicht tun würde, wenn man nicht weiß, worum es tatsächlich geht.
EMDRIA ist der deutsche Dachverband für EMDR-Anwender_innen, also einer Technik namens „Eye Movement Desensitization and Reprocessing„. An dieser Stelle ein kurzer Exkurs über EMDR: Diese Therapieform ist nicht unumstritten, es gibt pro und kontra-Studien, darunter auch welche, die einen etwaigen Zusammenhang zu falschen Erinnerungen konstatieren. Zumindest aber ist diese Technik problematisch, wenn sie in Zusammenhang mit Suggestionen angewendet wird, wie Psychology Today schreibt, und wenn – wie immer noch weit verbreitet – an traumabedingte „repressed memories“ geglaubt wird.
Doch zurück zur deutschen Dachgesellschaft: Im Vorstand von EMDRIA ist u.a. Arne Hofmann, der gemeinsam mit Luise Reddemann und Michaela Huber „in Deutschland die moderne Traumatherapie etabliert„, wie es auf der Hubers Webseite heißt. Auch in der Publikation anlässlich des 70. Geburtstags der Therapeutin ist Hofmann mit einem Beitrag vertreten. Welchen Bezug Reddemann und Huber zur rituell (satanistischen) Gewalt haben, dürfte mit dem Stand der aktuellen Aufklärung bereits umfangreich geklärt sein.
Auch sonst ist die Positionierung von EMDRIA klar, so wurde zum Beispiel die Böhmermann-Programmbeschwerde der Aufarbeitungskomission auf der Webseite geteilt. Das Interesse von EMDRIA am Thema rituelle Gewalt geht jedoch noch viel weiter zurück.
Im Mai 2017 hielt Natalie Rudolph (mittlerweile in eigener Praxis als Psychotherapeutin tätig) einen Vortrag auf dem Bonner EMDRIA-Tag über „Rituelle Gewalt in Deutschland. Eine quantitative Analyse„, der auf CD und DVD gepresst im Auditorium Netzwerk vertrieben wird. Rudolphs Vortrag basierte auf ihrer an einer Wiener Privatuniversität verfassten Masterarbeit mit gleichnamigem Titel.
Über diese Abschlussarbeit schreibt der BMFSJ-Fachkreis „Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen“ in seiner Broschüre im Jahr 2018: „In der Online-Befragung von Rudolph (2016) antworteten bundesweit 1.070 Psychotherapeut_innen und Mitarbeiter_innen von Beratungsstellen und Traumakliniken. 431 gaben an, mit Klient_innen gearbeitet zu haben, welche von Ritueller Gewalt berichteten. Die Betroffenen haben häufig während der Zeit der Behandlung/Beratung noch Kontakt zu Täter_innen und werden fortgesetzt misshandelt. Alle 16 Bundesländer (und das Ausland) wurden als Tatorte benannt.“ (ebd., S. 9)
Die Inhaltsbeschreibung der im Selfpublishing veröffentlichten Studie lässt keinen Zweifel offen, worauf ein Fokus dieser Untersuchung lag: „Da Rituelle Gewalt am häufigsten in satanistischen Kulten berichtet wird, wird in Kapitel 4 näher auf den Begriff des Satanismus eingegangen, auf die bekanntesten satanistischen Gruppierungen, sowie die berichteten Praktiken und Rituale dieser.“
Um es zusammenzufassen: Bereits im Jahr 2017 wurde am Fachtag von EMDRIA also eine Masterarbeit vorgestellt, sie sich expressis verbis mit ritueller Gewalt in satanistischen Kulten beschäftigt. Vor diesem Hintergrund verwundert das aktuelle Engagement der EMDR-Gesellschaft zum Positionspapier also wenig.
DGVT – Vortrag über rituell-satanischen Missbrauch
Gerade so als wäre das jahrzehntelange Debunking von SRA (Satanic Ritual Abuse) spurlos an ihr vorübergegangen, veranstaltete die DGVT (Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie) im November 2023 einen zweiteiligen Onlinevortrag mit dem Titel „Rituelle Gewalt – auch mit satanischem Hintergrund“. Referentin war u.a. Monika Bormann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der DGVT. Auf ihren Vortragsfolien schrieb Bormann: „Rituelle (ritualisierte) Gewalt ist organisierte sexualisierte Gewalt mit irgendeinem ideologischen Hintergrund (satanisch, christlich, politisch, …).“ Wenig später folgt sogar eine noch deutlichere Definition: „Satanisch ideologisierter sexueller Missbrauch: mit den Gewalthandlungen wird Satan gedient. Seine Gegenleistung ist Macht.“
Neben DGVT-Vorstandsmitglied Monika Bormann hielt auch Mia-Fay Minoris, die den YouTube-Kanal und Instagram-Account „Walk of DIS“ betreibt, einen Erfahrungsbericht zur Thematik „Was hat in der Therapie bei ritueller Gewalt geholfen?“. Aus dessen Inhalten zitiert ein im Februar 2024 erschienener SWR-Radiobericht „Erinnerung an sexuellen Missbrauch – Echt oder eingeredet?“ von Jochen Paulus: Menschen in schwarzen Kutten und weißen Gesichtsmasken, Hohepriester, ermordete Kinder (vgl. Transkript, S. 5).
Im Nachbericht über die beiden Vorträge schreibt die DGVT zum Vortragsziel: “ (…) über rituelle Gewalt zu informieren, sie vorstellbar zu machen und Beraterinnen und Psychotherapeutinnen Handlungsstrategien zu eröffnen“. Vergleicht man dazu den Vortragstitel, wo es explizit „auch um satanischen Hintergrund“ geht, kann man diese Aussage nur so interpretieren, dass exakt das vorstellbar gemacht werden soll: ein satanischer Hintergrund. Und weiter unten im Bericht heißt es: „Bormann machte deutlich, dass es fachlich richtig ist, die Möglichkeit eines rituellen Missbrauchs und einer dadurch entstandenen dissoziativen Identitätsstörung bei der Diagnostik in Betracht zu ziehen.“ Fachlich richtig gemäß einschlägigen Onlineseminaren und bereits debunkten Bücher wie Alison Miller & Co.?
Zusammenfassend scheint es so, als ob sich die DGVT dem herrschenden wissenschaftlichen Konsens bewusst entzöge, wenn sie allen Aufklärungen zum Trotz unverändert Fachvorträge zum Thema satanistischer Missbrauch veranstaltet. Und das obwohl sich die DGVT laut ihrer Satzung der „Förderung von Wissenschaft und Forschung“ verpflichtet, was aber nicht im Einklang damit steht, an bereits debunkten Satanic-Panic-Narrativen festzuhalten.
DGTD: rituelle Gewalt und Vortrag über „Gedankenkontrollprogrammierung“
Auch eine andere Fachgesellschaft, die DGTD, fällt durch Unterstützung des Narrativs von ritueller Gewalt auf, zum Beispiel mit einer Stellungnahme zum Spiegel-Artikel vom 11.3.23 – übrigens mitunterzeichnet von EMDRIA. Darin sticht eine emotionalisierte Schreibweise ins Auge, wenn die DGTD den Spiegel-Artikel als „höchst tendenziös“ bezeichnet und festhält: „Am Beispiel einer einzelnen, emotional aufgebauschten Patientinnengeschichte wird in diesem Artikel pauschal allen Psychotraumatolog:innen fehlende Professionalität, der Glaube an Verschwörungsmythen und die absichtliche Manipulation der sich ihnen anvertrauenden Patient:innen unterstellt. Gegen eine solche einseitige und spaltende Darstellung verwahren wir uns auf das Schärfste!“
Die DGTD, deren ersten Vorsitz Dr. Harald Schickedanz im Jahr 2021 von Michaela Huber übernommen hatte, findet also die tragischen Beschreibungen einer jungen Mutter, der ihr Baby weggenommen wurde, „emotional aufgebauscht“? Diese Worte kommen ausgerechnet von einem Verband, der sich um Traumaopfer bemüht, wohl wissend, dass die Trennung zwischen Mutter und Kind sehr starke traumatische Auswirkungen für beide Seiten hat.
Ganz abgesehen davon, dass der Spiegel-Artikel von den Verfasser_innen anscheinend nicht genau gelesen wurde, denn die Reportage nimmt eben keine Pauschalunterstellungen an alle Psychotraumatolog_innen vor, sondern differenziert sehr genau – etwas, was der DGTD in ihrer Stellungnahme nicht zu gelingen scheint. Statt dessen positioniert sich die Fachgesellschaft deutlich zum Thema rituelle Gewalt, worüber wir bereits mehrmals berichtet haben.
Bei der vergangenen DGTD-Jahrestagung 2023 gab es inhaltliche und personelle Änderungen, sodass der bereits angekündigte Vortrag von Jutta Stegemann, die bereits auf der Tagung 2020 referiert hatte, zeitlich aus dem Programm genommen wurde – und zwar einige Wochen nach Publikation des Spiegel-Artikels über u.a. Stegemann. Zufall? (Für die Originalversion siehe im Internetarchiv die ursprünglichen Publikationen für Freitag und Samstag). Stattdessen gab es zu Beginn der Veranstaltung nun den Standpunkt der DGTD zur aktuellen Diskussion zum Thema Psychotraumatologie.
Danach ging es in medias res des Narrativs ORG-MC: Ein Workshop von Florian Wilmers, einem Psychologen mit Kassenzulassung, der laut Programmheft explizit auf „Gedankenkontrollprogrammierung“ und „kalkulierte dissoziationsinformierte Misshandlung“ Bezug nahm und auf die Arbeiten der „renommierten Expertin Ellen Lacter“ – wie es wörtlich auf der DGTD-Webseite heißt. (Zur Info: Lacter schreibt auf ihrer Homepage „End Ritual Abuse“ von satanistischem Ritualmissbrauch und bietet „Symptomchecklisten“ für rituelle Gewalt zum Download.)
Weiters veranstalteten Harald Schickedanz und Martina Rudolph einen zweiteiligen Workshop über „Ausstiegsbegleitung aus organisierter und ritueller Gewalt und Fragen nach Sinn“. Martina Rudolph, Ärztliche Leitung der u.a. auf DIS spezialisierten Klinik am Waldschlösschen Dresden, hat im vergangenen Jahr der taz ein Interview zum Thema gegeben, auch darüber haben wir berichtet.
Und last but not least hielt Filmemacherin Liz Wieskerstrauch („Höllenleben“) einen Workshop, dessen Titel gleichnamig mit ihrem neuen Filmprojekt ist: „Der blinde Fleck. Kindesmissbrauch in organisierten rituellen Gewaltstrukturen“. Dieser Film wurde übrigens auch von der DGTD unterstützt, wie Wieskerstrauch auf ihrer Spendenwebseite schreibt.
Dies sind übrigens nur die jüngsten Beispiele, man könnte rituelle Gewalt durchaus als „Dauerthema“ bei den Jahrestagungen der DGTD bezeichnen: So gab es u.a. auch im Jahr 2022, 2019, gleich mehrmals im Jahr 2018, 2016, 2014, 2013, 2012 und 2011 Vorträge und Workshops zu genau diesem Thema.
DGSF: ein Artikel in der Fachzeitschrift
Die DGSF (Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie, ebenfalls Unterzeichnerin des Positionspapiers, schreibt auf ihrer Webseite, dass sie die erwähnte DGTD-Stellungnahme zum Spiegel-Artikel unterstützt. Insofern gilt hier dasselbe, was wir unter DGTD: rituelle Gewalt und Vortrag über „Gedankenkontrollprogrammierung“ geschrieben haben.
GPTG – Stellungnahme mit historischem Kontext
Eine weitere Unterzeichnerin des Positionspapiers, die Gesellschaft für Psychotraumatologie, Traumatherapie und Gewaltforschung (GPTG), hat sich ebenfalls nach dem Spiegel-Artikel in die Diskussion rund um rituelle Gewacht eingebracht und eine Stellungnahme veröffentlicht. Doch hier muss man sich bereits fragen, ob der Verband tatsächlich weißt, worum es bei der Kritik an „rituell (satanistischer) Gewalt“ geht? So schreibt die GPTG:
„Auch Mitglieder unserer Traumafachgesellschaft sind tagtäglich in ihrer Arbeit mit Betroffenen konfrontiert, für die diese Erfahrungen äußerst real existieren. Den Umfang und die Häufigkeit dieser Erfahrungen zu negieren, wird der Tatsache nicht gerecht, dass es real aufgedeckte Fälle rituellen und organisierten Missbrauchs gibt.“
Stellungnahme
Und damit haben wir bereits das Problem, welches durch all die Begriffsverschiebungen zutage tritt:
Wenn man anstelle von ritueller Gewalt, die sich jahrzehntelang (seit den 1990er Jahren) auf Satanismus in Kulten bzw. sogar weltweiten Kulten bezogen hat, plötzlich von einer rituellen Gewalt spricht, die sich nur noch auf das organisierte Verbrechen bezieht, dann haben wir ein gewaltiges Problem. Das Problem entsteht vor allem deswegen, weil der satanistische Bezug einzig nur im öffentlichen Raum ausgeblendet und „überschrieben“ wird. Die eigentlichen Probleme und toxischen Strukturen während der Traumatherapie bleiben jedoch erhalten.
Dadurch dass jene, die den satanistischen Missbrauch über Jahrzehnte verbreitet haben, jetzt eine Begriffsverschiebung vornehmen, stehen tatsächlich alle unter Generalverdacht, die von einer rituell organisierten Gewalt reden: Tun sie es, um Begriffe zu verzerren? Oder setzen sie sich für die Aufklärung über rituelle Gewalt ein, weil sie tatsächlich davon überzeugt sind, dass es dabei um das organisierte Verbrechen geht?
So und auch so möchten wir Kritik an der GPTG zum Ausdruck bringen. In der Stellungnahme heißt es auch: „Der historische Kontext, dass wesentliche Methoden ritualisierter Gewalt im Holocaust an Juden entwickelt wurden, wird ausgeblendet, und die damit verbundene Verantwortung geleugnet.“
Diese Aussage befremdet, bezieht sich doch die Stellungnahme eingangs ausdrücklich auf aktuelle Medienberichterstattung ausgehend von den Vorfällen in der Schweiz. Niemand von denjenigen, die die Verschwörungstheorie von satanistisch-rituellem Missbrauch kritisieren, hat jemals Verantwortung für die Gräueltaten des Holocaust geleugnet. Wie kommt die GPTG also auf diese Schlussfolgerung? Hierzu wäre eine Klarstellung seitens des Vorstandes der GPTG, der übrigens fast zu gleichen Teilen aus Heilpraktikern für Psychotherapie und Diplompsychologen besteht, dringend angebracht.
In dubio pro reo
Im Zweifel für den Angeklagten, heißt es vor Gericht, wenn man nicht beweisen kann, dass dieser schuldig ist. Wir sind hier nicht vor Gericht und wir möchten auch nicht anklagen, wie wir bereits eingangs geschildert haben. Im Gegenteil. Wir meinen es sehr ehrlich, wenn wir schreiben, dass wir an jeden einzelnen Verband mit der positiven Vorannahme herangegangen sind, dass er seine Unterschrift mit bestem Wissen und Gewissen unter das Positionspapier gesetzt hat. Doch diese positive Vorannahme wird erschüttert, wenn man die Vernetzungen zwischen den einzelnen Verbänden zu Gesicht bekommt. Um ein Beispiel zu nennen:
Auch der Ethikverein e.V. wird als Unterzeichner des Positionspapiers genannt. Auf seiner Webseite nennt der Verein als regelmäßige Kooperationspartner u.a. die UBSKM, die psychotraumatologische Fachgesellschaft DeGPT und das Traumahilfezentrum München (u.a. bekannt durch die Absage des Fachtags über rituelle Gewalt im Frühjahr 2023). Als Beraterin des Ethikvereins ist – neben vielen anderen – auch Dipl. Psych. Andrea Eckert aus München gelistet. Sorgen macht uns die Frage (mit der wir uns noch an den Verein wenden werden) ob die Diplompsychologin ident mit der gleichnamigen Münchner Psychologin ist, die im Jahr 2019 dem Kanal „Die Frage“ (produziert von funk als Gemeinschaftsprojekt von ARD und ZDF) ein ausführliches Interview zum Thema DIS gegeben hat. Gefragt, welche Rolle ihrer Meinung nach rituelle Gewalt im Zusammenhang mit DIS spiele, antwortete diese nämlich: „Eine große Rolle, das kann ich gleich sagen„ (Min. 2.48) Sie spezifiziert wenig später: „(…) oftmals Sekten zum Beispiel, was Sektenartiges, irgendeine Form von Glaube, von Satanskult und solche Sachen (…)“ (Min 3.20)
Diese Verbindungen sind dafür verantwortlich, dass man misstrauisch wird. Gerade bei einem Verein, der sich um die Belange von Therapieopfern bemüht, wäre es fatal, wenn sie dem Narrativ der rituell-satanischen Gewalt folgen und in dem Zusammenhang auch auf den Zug der Begriffsverzerrungen aufspringen.
Themenaufarbeitung bei der DGPPN
Last but not least hat auch die DGPPN unterzeichnet. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Andreas Meyer-Lindenberg, äußerte sich nach der Depublikation der Böhmermann-Sendung zu Jahresbeginn 2024 in einem Schreiben an den ZDF-Fernsehrat und unterstrich in Interview für den Spiegel die gute Recherche des Magazin Royale. Er hoffe, dass die Sendung wieder publiziert werde. „Sollte das nicht dazu kommen, müssen wir überlegen, ob wir uns als Fachgesellschaft dazu öffentlich nochmals klar positionieren.“ Nachdem es bislang zu keiner Re-Publikation vom Magazin Royale gekommen ist, bleibt zu hoffen, dass ein Statement der DGPPN dazu nicht allzu lange auf sich warten lässt.
Im Spiegel-Interview findet sich auch eine interessante Passage zum Positionspapier:
SPIEGEL: Ihre Gesellschaft hatte sich vorher schon einmal zu dem Thema positioniert, im Sommer 2023. Anlass waren SPIEGEL-Enthüllungen, die aufdeckten, wie solche Verschwörungsmythen in Teilen der Psychotherapie kursieren und Patienten und Patientinnen schädigen. Das damalige Papier klang weniger nach einem Plädoyer für Fehlerkultur, eher nach Medienkritik. Störten Sie sich an den Recherchen?
Meyer-Lindenberg: Nein, die Berichte waren wichtig. Es gab dazu auch schon wichtige Veröffentlichungen in der Schweizer Presse. Das Problem war die Debatte, die danach in den sozialen Netzwerken folgte, da ging jede Nuance verloren. Traumatherapeuten wurden unter Generalverdacht gestellt. Dagegen wollten wir uns klar positionieren und haben mit vielen anderen Fachgesellschaften das Papier mitgezeichnet.
SPIEGEL: Aber wäre es damals nicht schon die Aufgabe von Fachgesellschaften wie Ihrer gewesen, das Problem einzuordnen?
Meyer-Lindenberg: Absolut. Wir sagten allerdings auch damals schon, dass es Therapiefehler gibt, die untersucht und behoben werden müssen. Vielleicht hätten wir da noch klarer sein sollen.
https://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boehmermann-hat-nichts-falsch-gemacht-kritik-an-loeschung-von-zdf-magazin-royale-folge-a-f6b67453-3f8b-49f1-beff-a00835b3a451
Diese Klarheit hat die DGPPN jedenfalls beim letzten Kongress im November 2023 bei der Aufarbeitung des Themas unter Beweis gestellt: Unter dem Titel „Dissoziative Identitätsstörung und rituelle Gewalt. Fakten und Fiktionen“ gab es einen Vortragsschwerpunkt mit Referent_innen wie Petra Hasselmann, Renate Volbert oder Axel Seegers, die das Thema rituelle Gewalt aus unterschiedlichen Kontexten beleuchteten – auch hinsichtlich der Entstehung von Scheinerinnerungen.
Es wäre äußerst wünschenswert, dass andere Fachgesellschaften nachziehen und sich ebenfalls an der Aufklärung beteiligen. Vielleicht in einem überarbeiteten und dem Stand der Wissenschaft entsprechenden Positionspapier?
Hui … Ein schöner Artikel mit vielen interessanten Infos die ich noch nicht kannte.
Vielen Dank!