Religions-Podcast über Satanic Panic

Autorin: Nora

Der aktuelle Podcast „Sternstunde Religion“ des SRF interviewt den forensischen Psychiater Frank Urbaniok und Dorothea Lüddeckens, Zürcher Professorin für Religionswissenschaft, u.a. über die Verschwörungstheorie Satanic Panic, wie sie in der Schweiz auch in Psychotherapien und Kliniken Einzug gehalten hat. Hier die Kernaussagen des Podcasts zusammengefasst:

Verschwörungstheorie versus Dissenting Opinion

Wie groß das Ausmaß dieser Probleme sei, könne man noch nicht abschließend sagen, so Urbaniok, den das Ausmaß dieser Verschwörung überrascht hat, und dass es eben keine punktuelle Problematik sei. „Ich habe am Anfang unterschätzt, wie breit das ist, es sind mittlerweile in der Schweiz durch die Recherchen drei Kliniken betroffen, in Deutschland ist das Thema noch ganz am Anfang“.

Warum konnten sich diese Konstrukte so lange halten? Man habe lange Zeit alles getan, um das zu vertuschen, sagt der Psychiater: „Die Informationen, die jetzt auf dem Tisch sind, sind nicht automatisch rausgekommen, oder weil die Kliniken sich gemeldet haben, sondern durch eine, Gott sei Dank, recht hartnäckige Recherche erst ans Licht gebracht worden.“

Zudem sind Verschwörungstheorien immun gegen Belege und Realität, schildert Frank Urbaniok, es gebe die fast zynische Argumentation: Weil man keine Beweise habe, sei das erst recht ein Beweis, weil die Täter so geschickt sind. Daraus entstehe ein geschlossenes System, das nicht mehr durch Fakten oder Realität korrigiert werden kann, sondern sich immer wieder selbst bestätigt: „Hier fängt die Verschwörungstheorien an im Unterschied zu einer anderen Fachmeinung.“ Gefährlich und zu einer Fehltherapie wird es, wenn dieses System in die Therapie eingebracht und Patienten übergestülpt wird, stellt Urbaniok fest.

Über die Anfälligkeit der Psychologie für Verschwörungstheorien

„Verschwörungstheorien sind dramatische Geschichten, wo einer Gruppe von Personen häufig ein Netzwerk unterstellt wird, andere mit einem perfiden bösen Plan kontrollieren zu wollen. Es ist Teil der Schwierigkeit, dass das immer angeblich geheim passiert und dass Zufall ausgeschlossen wird.“ Und das führe dann dazu, dass überall Muster dieser z.B. satanistischen Netzwerke gefunden werden, die im Rahmen eines Kampfs von Gut gegen Böse aufgedeckt werden müssten, beschreibt die Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens diese Vorgänge.

„Die Psychologie ist immer in gewisser Weise anfällig dafür gewesen und nach wie vor anfällig, dass man eine Theorie hat, die man auf eine Person überstülpt“. Frank Urbaniok stellt in diesem Zusammenhang zwei unterschiedliche Positionierungen dar: Einerseits könne man versuchen, die Person so genau wie möglich psychologisch zu verstehen, ergebnisoffen zu sein und das Denken an die Phänomene anzupassen. Oder umgekehrt: „Man hat ein Denken und passt die Phänomene daran an.“ Dann bleibe das Denken stabil und das Ergebnis stehe im Vorhinein fest – und das ist eine große Gefahr gerade auch mit dem Konzept des Unbewussten: „Ich weiß was tief in dir im Innersten vorgeht, ob du das selbst so siehst, spielt gar keine Rolle.“ Wenn das nun von jeder Belegbarkeit abgekoppelt wird, ist eine Grenze hin zum geschlossenen System überschritten und der Missbrauch von Patienten beginnt, indem sie für eine Theorie instrumentalisiert werden, so folgert der Psychiater.

Wo sei hier die Grenze zu ziehen? „Auch in der Therapie darf es unterschiedliche Fachmeinungen haben, aber es ist wichtig, die rote Linie da zu ziehen: Wo hört eine Fachmeinung auf und wo ist ein Behandlungsfehler.“

Von falschen Ketten-Schlüssen hin zu Mind Control

Die Aufspaltung der Dissoziativen Identitätsstörung in Persönlichkeitssegmente und -facetten vergleicht Urbaniok mit einer überschuldeten Bank, die in eine „Bad Bank“ auslagert, um den Kern zu retten. Diese DIS-Diagnose sei extrem selten, sagt er, „Menschen, die mit schwer traumatisierten Patienten arbeiten, sehen das häufiger, aber es bleibt eine extrem seltene Diagnose“. Doch die vermeintliche Diagnose werde in Folge als Vehikel genommen, von extrem unspezifischen Zeichen abgeleitet und weil man an ein häufiges Vorkommen glaube, in Folge Patienten übergestülpt nach dem Motto: „Du hast das jetzt“. Doch damit fange die Kette an: Weil diese Diagnose gestellt ist, müsse es einen schweren, rituellen Missbrauch gegeben haben – ein Grundfehler, wie es Urbaniok benennt: „Es gibt keine Diagnose, von der man auf einen bestimmten Grund schließen kann“.

Für Therapeuten sei es wichtig, mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität zu stehen und immer nach der Plausibilität zu fragen, denn es gehe darum, Patienten in die Realität zu bringen und nicht aus dieser herauszuholen. Dass Erinnerung ein flexibler Prozess ist und nicht starr wie ein Computerprogramm, wo etwas unverändert abgerufen wird, ist heutzutage erwiesen. Hier beginne die Angriffsfläche für Einflussnahme, beschreibt Frank Urbaniok: „Wenn ich jetzt sehr überzeugend auftrete und Sie sowieso in einer vulnerablen Position sind und nach Antworten suchen und ich komm jetzt ich mit meiner ganzen Überzeugung und Fachlichkeit und erkläre Ihnen was der Grund für all Ihre Probleme ist.“ Viele seien dann verführbar, nehmen diese Erklärung bereitwillig an (in der Annahme: „Der wird es schon wissen“) und die Weichen, auch selbst Erinnerungen zu produzieren, seien damit gestellt, führt Urbaniok dieses Zusammenspiel von Faktoren.

Das Wissen um die Entstehung von Falscherinnerung dürfe jedoch nicht dazu benutzt werden, Opfer sexuellen Missbrauchs generell nicht zu glauben oder sie zu diskreditieren, verwehrt sich Urbaniok entschieden gegen Trittbrettfahrer, die diesen Diskurs für sich instrumentalisieren.

Auch zur Thematik von Mind Control bezieht der Psychiater klar Stellung: Die These sei, dass zumeist satanistische Gruppen psychochirurgisch in der Lage wären, Kinder zu programmieren, dass sie als Erwachsene wieder zum Missbrauch geholt werden könnten – doch das gibt es nicht, es ist ganz klar falsch, stellt er fest: „Die Menschen, die das vertreten, belegen das nicht, die saugen sich was aus den Fingern, eine Theorie, die ihnen entspricht, die sie plausibel finden und schotten sie ab gegen jede Belegbarkeit“.

Was suggestive Falschtherapien mit Sekten zu tun haben

Diese Strukturen der Abhängigkeit, wie sie in derartigen Therapien vorkommen, finden sich auch in Sekten, erklärt Dorothea Lüddeckens, genauso wie die Forderung, den Kontakt zur Außenwelt/Familie abzubrechen.

Warum Therapeuten derart agieren und wie sich Netzwerke bilden? Hier gebe es einerseits Hardcore-Verschwörungstheoretiker, beschreibt Urbaniok, doch zu seiner Überraschung sei diese Gruppe relativ klein. Es gebe die andere Gruppe der Therapeuten, die in Weiterbildungen geschult wurden und diese Konstrukte dann quasi als Trittbrettfahrer in ihrer Praxis anwenden. Weiters existieren größere Gruppen wie z.B. evangelikal-freikirchliche Bewegungen, die diese Theorien noch unterfüttern, z.B. auch in pädagogischen Strukturen dafür sensibilisieren wollen, „satanisch geschädigte Kinder zu erkennen“.

Dass es auch um eine Art von Selbst-Erhöhung geht, fügt Dorothea Lüddeckens hinzu: Man sei nicht mehr nur die Therapeutin, die wisse, wo psychische Probleme „irdisch“ herkommen, sondern es werde in einen viel größeren Kontext gestellt. Auch Laien ziehe das mit hinein: „Ich werde zur Forscherin, die überall Belege findet, zur Kämpferin, zur Retterin.“ Erzählungen mit den Bestandteilen Gewalt, Opfer, Sexualität und Geheimnis bergen eine gewisse Faszination ähnlich wie ein Horrorfilm, genau diese Dynamik dürfe nicht unterschätzt werden, warnt die Professorin – genauso wenig wie der Einfluss einiger Gruppierungen aus dem evangelikal-christlichen Spektrum, psychische Erkrankungen und Biografien religiös zu deuten als Kampf gegen ein übersteigertes Böses: „Wenn man polarisiert den Satan auf der anderen Seite hat, dann schärft das auch die Identität des eigenen Glaubens“.

Dazu komme ein subjektiver emotionaler Gewinn als Aufklärer dieser Missstände, ergänzt Urbaniok, „subjektiv zu glauben etwas Gutes zu tun, ist wahrscheinlich der Titel, der in der Geschichte der Menschheit zu grausamsten Dingen geführt hat“.

Warum Verschwörungstheorien nicht leicht zu eliminieren sind

„Es ist nicht etwas Faktenbezogenes, es ist etwas Emotionales; ein Gefühl und gegen ein Gefühl kann man schlecht argumentieren“, sagt der Psychiater. Der gefühlten Wahrheit sei mit Fakten nicht zu kontern, es sei auch eine Art der Vermeidung von kognitiver Dissonanz, gegen alle Argumente immun zu sein.

„Der menschliche Verstand ist ein Kausalitäts-Junkie, er sucht überall Kausalität und ist extrem geneigt, wenn es keine gibt, diese hineinzuprojizieren“, beschreibt Urbaniok. Vom Hexenglauben über mittelaterliche Ritualmord-Legenden haben abstruse Geschichten lange Tradition, insbesondere in den USA zeigte sich das jüngst bei der QAnon Verschwörungstheorie.

Dennoch zeigt sich Frank Urbaniok abschließend optimistisch: „Wir sind in Europa noch in der Situation, wo ich zutiefst dran glaube, dass die Menschen, die für Argumente erreichbar sind, die ergebnisoffen sind, vernünftig, die Realitäten zur Kenntnis nehmen, in der Mehrheit sind“. Auch in Bezug auf Therapie: „Die ganz große überwiegende Mehrheit aller Traumatherapeuten macht eine ganz hervorragende und wichtige Arbeit.“

Das Gute und Vernünftige gelte es zu stärken und sich klar gegenüber den Rändern, gegenüber Verschwörungstheoretikern abzugrenzen und zu positionieren: „Eine scharfe Kante gegenüber der kleinen Minderheit, die die rote Linie überschreiten, die müssen wir in den Fachkreisen ziehen.“

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