Programmbeschwerde: Viel Lärm um nichts

Autorin: Nora Sillan

Dass Jan Böhmermanns Magazin Royale über rituelle Gewalt nicht überall mit offenen Armen aufgenommen wird, war zu erwarten. So fühlte sich zum Beispiel die Aufarbeitungskommission bemüßigt, eine fünfseitige Stellungnahme über die Sendung als Programmbeschwerde beim ZDF einzureichen.

Wenn die Kommission zu vergessen scheint, was sie meint …

Gleich zu Beginn führt die Kommission an, dass rituelle Gewalt „nicht auf „satanistische“ Narrative reduziert werden darf“ (Programmbeschwerde. S. 2). Was hierbei sofort ins Auge sticht: Das Wort satanistisch wird plötzlich unter Anführungszeichen gesetzt – das ist ja ganz was Neues. Mit satanistischen Narrativen (und zwar ohne Anführungszeichen geschrieben, so als wäre dies die normalste Sache der Welt) hat sich die Aufarbeitungskommission schon mehrmals beschäftigt. Zur Erinnerung: Im ausführlichen Bilanzbericht aus 2019 werden als Beispiele für rituelle Gewalt „sogenannte satanistische oder faschistische Ideologien“ angeführt (vgl. Bilanzbericht 2019 Band 1, S. 118).

Soll dies jetzt etwa ein sprachlich reframender Distanzierungsversuch von diesem Narrativ sein, oder warum plötzlich diese neue Zeichensetzung?! Ein weitere Neuerung ist, dass die Kommission nun von einem Randphänomen (!) spricht („seit Jahrzehnten debattiertes Randphänomen der „satanistisch“-rituellen Gewalt“, Programmbeschwerde,S. 4), obwohl das berühmte S-Wort (lies: satanistisch) bei der Kommission so ganz und gar nicht im Abseits gestanden ist:

Quelle: Twitter-Account der Aufarbeitungskommission, 1.11.2022

Das ist es also, was die Kommission expressis verbis meint, wenn sie von Kindesmissbrauch in rituellen Strukturen spricht: Im Kontext mit (Schein)ideologie wird satanistisch (natürlich ohne Anführungszeichen) ganz selbstverständlich und gleich als Erstes in der Aufzählung genannt. Wie war das jetzt mit dem Randphänomen … ? Unterliegt die Aufarbeitungskommission nun plötzlich einer Amnesie, was ihre eigenen Aussagen betrifft, die noch kein Jahr alt sind? Das wäre ja wirklich mal was Neues.

Einheitsbrei und argumentative Allgemeinplätze

Was allerdings einem alten Hut gleicht, ist die Art und Weise der Argumentation: Wie eh und je werden Parallelen zu Gewaltformen wie organisierter Gewalt oder Religionsgemeinschaften aus eben jenem (alten) Hut gezogen – also Tatsachen, die nie jemand bestritten hat. Danach folgen ellenlange Absätze über die generelle Arbeit der Kommission (darum geht es in casu gar nicht) und die Wichtigkeit des sensiblen Umgangs mit dem Thema der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche (was für das ZDF ohnehin selbstverständlich ist).

Hat man sich bis Seite 3 der Beschwerde durchgewühlt, holt die Aufarbeitungskommission an dieser Stelle mit der Moralkeule aus und schreibt:

Sendungen mögen zwar vordergründig vertretbare Formate (z.B. Satire) präsentieren, aber bei genauer Betrachtung nehmen sie u.U. in Kauf, dass die (satirische) Zuspitzung eines Problems stillschweigend einen Sog der Abwertung auslöst, der die Gesamtproblematik – Betroffenheit von sexualisierter Gewalt – nicht nur der Lächerlichkeit preisgibt, sondern zur weiteren Traumatisierung von Betroffenen beiträgt, weil sie stillschweigend die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen und die Glaubwürdigkeit ihrer Person unter Verdacht stellt.“ (Programmbeschwerde, S. 3)

Und weiter:

Zwar betont der Moderator (sinngemäß) dann und wann pflichtschuldig, wie wichtig das Thema sexualisierte Gewalt sei und man sich darüber nicht lustig machen dürfe, um dann genau dies zu tun, wenngleich über den Umweg einer Befassung mit „satanistischen“ Narrativen, die freilich die Betroffenheit von Menschen durch sexualisierte Gewalt abwertet.“ (ebd.)

Diese Vorwürfe hören sich zwar nach hartem Tobak an, sind allerdings mehr als zahnlos, wenn man sich Böhmermanns Aussagen im Video in Erinnerung ruft. Von Pflichtschuldigkeit ist in seinen Worten keine Spur. Soll dies also eine Unterstellung seitens der Kommission sein? Diese geht inhaltlich sogar noch weiter, wenn sie die Verletzung der Menschenwürde Betroffener und „einen generellen Sog der Abwertung zulasten aller Betroffenen sexualisierter Gewalt“ (ebd S. 4). wittert. Und dies ist auch noch längst nicht alles an Vorwürfen: „(…) Durch die undifferenzierte Anlage der Sendung wird eine Stimmung befördert, die Betroffene sexualisierter – einschließlich organisierter und/oder ritueller – Gewalt als nicht weiter ernstzunehmende Personen darstellt.“ (ebd.)

Das klingt ja beinahe als soll Jan Böhmermann etwas in den Mund gelegt werden, der an keiner einzigen Stelle Gewaltbetroffene abwertet (oder sonst etwas von dem tut, was die Kommission ihm vorwirft), sondern lediglich Satanic Panic und Mind Control unter die Lupe nimmt. So hält Böhmermann gleich zu Sendungsbeginn über organisierte Gewalt fest:

Ganz wichtig, Disclaimer vorweg, bitte nicht verwechseln mit organisierter sexualisierter Gewalt, das ist was anderes, es geht heute um rituelle Gewalt durch geheime satanistische Zirkel oder andere mystische Gruppen.“ (Magazin Royale, Min 4:01)

Im weiteren Sendungsverlauf wird Böhmermann noch deutlicher und spricht über schwere Traumata:

Es gibt viele Menschen, die wirklich schreckliche Traumata erlitten haben und sich darum Psychotherapeut:innen anvertrauen. Und darum ganz im Ernst, sehr ernst: Leider gibt’s in Deutschland aber auch Psychotherapeut:innen, die ihren Patienten keine Hilfe anbieten, sondern sich in der Therapie auf die Suche begeben nach irgendwelchen seltsamen Teufelsgeschichten und dadurch können traumatisierte Menschen irgendwann selber anfangen zu glauben, dass sie sich an den Teufel erinnern. (…)“ (Magazin Royale, Min 23.25)

Auch hier von Abwertung oder gar einer diesbezüglichen „Sogwirkung“ keine Spur. Es werden keine Missbrauchsopfer an den Pranger gestellt, im Gegenteil, sondern fatale Therapie-Suggestionen mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen aufgezeigt. Mit Letzterem befasst sich die Aufarbeitungskommission interessanterweise in ihrer Beschwerde gar nicht, sondern blendet dies gekonnt aus, obwohl es das Hauptthema der Sendung ist. Das wirft natürlich – rein spekulativ – die Frage nach dem Warum auf. Man könnte glatt die Mutmaßung anstellen, ob hinter der Programmbeschwerde nicht eine persönliche Motivation der Kommission stecken mag: Immerhin hat Böhmermann der Aufarbeitungskommission einen „lieben Gruß“ in der Sendung ausgerichtet (vgl. Magazine Royale, Min 26:02) Könnte die Programmbeschwerde nun die Antwort auf die Grüße sein? Zyniker würden gar so weit gehen, darin eine mögliche Retourkutsche zu vermuten …

Zwischen Dartscheibe und Gießkannenprinzip

Trotz eindeutiger Klarstellung Böhmermanns geizt die Programmbeschwerde nicht mit weiteren Vorwürfen, was die Aufzählung von Verletzungen der Programmrichtlinien angeht: „die Verpflichtung, die Würde Betroffener sexualisierter Gewalt zu achten“, „die Verpflichtung zur Präsentation differenzierter Sendungen, die mit Blick auf das Problem sexualisierter Gewalt eine Urteilsbildung einschließlich der Bezüge zu allen Bereichen der sexualisierten Gewalt ermöglichen“, „die Verpflichtung, verhetzende Wirkungen von Sendungen zu vermeiden“, „die Pflicht zur Ausgewogenheit (Programmbeschwerde, S. 4f.)

Auch wenn sich diese vier Punkte auf den ersten Blick nach schweren journalistischen Vergehen anhören, stellt sich die Frage, ob sie einer Detailbetrachtung auch Stand halten können. Denn die Aufarbeitungskommission macht in ihrer Programmbeschwerde eines nicht: nämlich konkret zu werden. Es fehlen jegliche (!) direkte Zitate aus der Sendung, also einzelne und detaillierte Stellen, wo die aufgezählten Punkte angeblich verletzt worden sind. Auf keiner Seite der ellenlangen Programmbeschwerde (Papier ist geduldig) nennt die Aufarbeitungskommission auch nur einen einzigen Beleg für die von ihr vorgebrachten Behauptungen. Vielleicht weil einfach die Belege dafür fehlen?

Beinahe sieht es nach Gießkannenprinzip aus – oder nach Schüssen auf eine Dartscheibe in der Hoffnung, irgendein Pfeil möge schon treffen. Doch die Beschwerdepfeile gehen meilenweit am Ziel vorbei, denn auch die geforderte Ausgewogenheit in der Berichterstattung (ein weiterer Kritikpunkt) hat das ZDF erfüllt – so verweist die Kommission selbst lobend auf die Doku Die Kinder von Lügde. Das heißt also im Klartext, das ZDF bildet alle Facetten des Themas sexuelle Gewalt ab – und das Gesamtthema wird eben nicht „hinter der reißerischen Hervorhebung „satanistischer“ Narrative versteckt“ (Programmbeschwerde S. 5), wie die Aufarbeitungskommission mutmaßt.

Auch der vierte Beschwerdepunkt, wo es um die verhetzende Wirkung geht, zeigt einen durchaus kreativen Umgang mit vermeintlichen Interpretationsspielräumen. Um die Vermeidung verhetzende Wirkung geht es in den Programmrichtlinien des ZDF allerdings nicht in Punkt IV (3), auf welchen die Kommission an dieser Stelle verweist, sondern das Wort „verhetzend“ kommt in den gesamten Programmrichtlinien lediglich unter Punkt III (8):

Im Gesamtangebot ist die Wirkung von Gewaltdarstellungen zu berücksichtigen. [Absatz; Anm.] Die Angebote dürfen keine verrohende oder verhetzende Wirkung haben. Die Darstellung von kriminellen Handlungen, Sucht oder Gewalt darf nicht vorbildlich wirken oder zur Nachahmung anregen. Hinweise auf Strafe oder Wiedergutmachung sowie auf Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten sollen nicht fehlen.“ Programmrichtlinien, S. 3

Der Teufel steckt im Detail, so könnte man sagen. Denn die Beschwerde der Aufarbeitungskommission greift sich allein die Formulierung „verhetzende Wirkung“ heraus und liefert dazu eine allgemeine Duden-Definition, was dieses Wort bedeutet. (Da davon ausgegangen werden darf, dass der ZDF-Fernsehrat die Wortbedeutung und Auslegung der eigenen Programmrichtlinien kennt, wirkt die mitgelieferte Definition seitens der Kommission etwas oberlehrerhaft – dies nur am Rande.) Was jedoch viel entscheidender ist: Der Gesamtzusammenhang des Punkt 8 befasst sich mit der Wirkung von Gewaltdarstellungen. Wie im obigen Zitat deutlich markiert, befindet sich ein Absatz im Text, jedoch lässt sich daraus kein direkter Hinweis entnehmen, dass mit „verhetzender Wirkung“ ein anderer Kontext als eben diese Gewaltdarstellungen gemeint ist. Darauf hinzuweisen – und auch auf den korrekten Punkt in den Programmrichtlinien – verabsäumt jedoch die Kommission, wenn sie sich quasi eine Rosine aus dem Kuchen zu picken scheint und in casu eine Richtlinienverletzung feststellen möchte.

Kleiner Satz – große Wirkung

Ein kleines, aber wichtiges Detail am Rande: In der ganzen Beschwerdeflut droht ein kleiner Absatz beinahe unterzugehen, darum an dieser Stelle ein Extrahinweis:

Es geht uns mit unserer Kritik nicht – um das klarzustellen – um die offenbar in reißerischer Absicht erfolgte Thematisierung „satanistischer“ Narrative unter Einschluss der ohne Zweifel näherer Betrachtung bedürfenden Äußerungen einer Therapeutin (sofern sie rechtmäßig gewonnen wurden, was geprüft werden muss).“ (Programmbeschwerde, S. 3)

Von welcher Therapeutin die Kommission hier spricht, dürfte jedem Zuschauer der Sendung klar sein. Was meint die Aufarbeitungskommission allerdings damit, dass die Aussagen besagter Therapeutin „näherer Betrachtung bedürfen“? Kann hier etwa eine Distanzierung seitens der Aufarbeitungskommission zu diesen Aussagen jener Therapeutin herausgelesen werden? Vielleicht ist dieser kleine Nebensatz der interessanteste Punkt der ganzen Programmbeschwerde.

Save the best for last

Nach langatmigem Text und zahlreichen inhaltlichen Wiederholungen ist man auf der letzten Beschwerdeseite angekommen. Die Schlussbitte der Aufarbeitungskommission nach Entfernung der Sendung aus der ZDF-Mediathek riecht schon leicht nach Zensur. Oder nach plötzlicher Abschiebung des „Randphänomens“ (Zitat: Aufarbeitungskommission) von satanistisch-ritueller Gewalt auf ein Nebengleis (Siehe hierzu auch: „Geheimsprache“). Übrigens: Die TAZ stellte eine Anfrage an das ZDF, wo dieses bestätigte, die Ausgabe des Magazin Royals nicht zu löschen. Sie ist in einen „Themenschwerpunkt zur Opferperspektive eingebettet“, so der Sender zur Tageszeitung. Damit dürfte sich dieser Punkt der Programmbeschwerde von selbst erledigt haben.

Apropos Programmbeschwerde: Ist man (endlich) ganz am Schluss angekommen, springen die groß eingescannten Original-Unterschriften der Kommissionsmitglieder ins Auge, die wohl optisch gewichtig anmuten sollen, da sogar eine „Bundesministerin a.D“ den Text unterzeichnet – wie extra neben der schnörkelfreien Unterschrift von Dr. Christine Bergmann angeführt ist.

Immerhin füllen die sieben gescannten Unterschriften die letzte Seite bis zum unteren Rand aus. Ob sie der zahnlos anmutenden Programmbeschwerde allerdings mehr inhaltliches Gewicht verleihen, sei dahingestellt.

Fortsetzung: (Dezember 2023)

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