Empathie? Fehlanzeige!

Autoren: Marvel Stella und Nora

Am 12.03.2023 erschien ein 7-seitiger Spiegel-Bericht über die Auswirkungen der Satanic Panic in Deutschland. Es ist ein umfassend recherchierter Artikel, der den sehr tragischen Fall einer jungen Frau schildert und dazu die Hintergründe der Verschwörungsszene beleuchtet. Wir haben darüber berichtet.

Seit diesem Bericht gibt es im Internet, auf privaten Blogs und auch seitens offizieller Stellen viele Reaktionen. Alle haben sie eines gemeinsam: Sie sehen sich und die Betroffenen, die über rituelle Gewalt berichten, gefährdet und teilweise sogar diffamiert. Kaum ein Wort richtet sich an die Betroffene der Fehltherapie, über die der besagte Artikel berichtete.

Worum es konkret geht?

Um eine junge Frau und darum, dass man ihr das Kind entzog bzw. Mutter und Kind voneinander entfremdete, weil die Therapeutin einer Verschwörung folgte.

Also… nicht wirklich der Rede wert!

Es wird mit zweierlei Maß gemessen: Die eigene Betroffenheit steht im Zentrum und ist das, worum man ständig kreist und sich mit Gleichgesinnten umgibt. Die Betroffenheit von Therapie-Opfern jedoch, nein, die könne doch nicht sein, denn das würde das eigene Weltbild unter Umständen ins Wanken bringen.

Mit schreiberisch spitzer Feder werden Worte wie Klingen gewetzt, um sie als Waffe gegen den Menschen zu benutzen, der den Mut hatte, öffentlich über die erlebte Falschtherapie zu sprechen. Und das eigentlich Unfassbare an dem Ganzen: Menschen, die zu einem Großteil schwere Traumata erlebt haben – die ihnen übrigens niemand je absprechen wollte, wie so oft behauptet wird – dass genau diese Menschen ein Opfer teeren und federn. Denn die Statements, in denen echtes Mitgefühl für eine Mutter aufkommt, die ungerechtfertigterweise ihr Kind verloren hat, die kann man an einer Hand abzählen.

Last but not least ist auch eine BloggerinEinBlogvonVielen zu finden, die den Spiegel-Artikel zerlegen und Haarspalterei betreiben möchte. Oder sollte man besser sagen: Wortspalterei, da sie sich sichtlich bemüht, stilistisch-sprachlich ausgefeilt zu schreiben. Es sei „Populismus“, so heißt es, „Stimmung gegen Psychotherapie“. Warum der Text zieht, wird als rhetorische Frage gestellt, die auch sofort beantwortet wird: Der Text bietet „Grusel“, der Leser fühle sich informiert und man sei – wörtlich – „ein bisschen traurig für die Patientin„.

„Ein bisschen traurig?“

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, welche Mitgefühls-befreiten Worte diese Bloggerin über eine Mutter findet, der man ihr Kind weggenommen hat, eines der schlimmsten Dinge, was einer Mama passieren kann. Und das alles nur wegen einer Verschwörungstheorie, deren Anhänger_innen nun sogar noch gegen sie hetzen und sie – das Opfer – an den Pranger stellen.

Man sieht hier nicht nur Reaktionen, die aufzeigen, wie man sich um die eigene Achse des Opferseins dreht, es zeigt sich darüber hinaus ein gewaltiges Maß an Manipulation. Eine suggestive Warnung an alle, die in Zukunft vorhaben, über ihre Fehltherapie zu berichten:

  • Du bist raus!
  • Du bist Täter!
  • Du bist Schuld!
  • Du bist unglaubwürdig!
  • Du bist eine Verräterin!

Das, liebe Leser, passiert hier mitten in Deutschland seit den 1990er Jahren: Opfer einer katastrophalen Fehltherapie werden mundtot gemacht, angegriffen, verhöhnt, sie werden verleumdet, ihnen wird die Selbstbetroffenheit und Selbstwirksamkeit abgesprochen.

Als die Verschwörung in den 90ern in Deutschland Einzug gehalten hatte, gab es ein paar wenige, die den Mut fanden, an die Öffentlichkeit zu gehen und über Fehltherapien zu reden. Manche waren jahrelang sehr motiviert, aufzuklären und anderen Opfern diese Schreckenserlebnisse zu ersparen. Es lässt sich davon noch eine ganze Menge im Internet finden, aber ich werde es nicht verlinken, denn die Betroffenen haben ihren Mut mit ihrer seelischen Gesundheit teuer bezahlen müssen!

An Menschen, die ich einordnen kann, sende ich gerne die Verlinkungen.

Ich verlinke es deswegen nicht, weil sie es verdient haben, in Ruhe gelassen zu werden. Sie haben alles für die Aufklärung getan, was man rein menschlich dafür tun kann, mehr kann und darf man ihnen nicht zumuten. Nicht zuletzt, weil sie inzwischen auch körperlich sehr krank sind und sich von all den Vorfällen nur noch distanzieren möchten, um sich zu schützen.

Schützen müssen sie sich tatsächlich! Die Gründe sieht man gerade live in allen sozialen Medien. Man scheint tatsächlich einen Krieg zu führen und das erinnert an die Satanic Panic in den USA: Memory Wars nannte man das Spektakel damals.

Vorneweg Institutionen wie die UBSKM, welche sich ganz klar positionieren: (Bild-Quelle)

Die Twitter-Userin ist Mitglied des UBSKM-Betroffenenrats und schreibt in diesem Fall auch in dessen Interesse.

Was bitte ist das? Ist das die „Kompetenz des Familienministeriums“, von der eine Userin in ihrem Blog schreibt?EinBlogvonVielen Die Kompetenz, an der wir angeblich sägen?

„Unterirdisch“ nennt sie es, ohne mit einem einzigen Wort auf die Betroffene und auf das überaus grauenvolle Desaster der Mama einzugehen, der das Kind weggenommen wurde, weil sich die Therapeutin in eine Verschwörung verrannt hatte. Was sagte Frau Marquardt? (Bild-Quelle)

Na! Das ist doch mal was Neues.

Sprache ist sehr entlarvend: Dieser Vorwurf zeigt sehr deutlich, dass auch die Betroffenen im Betroffenenrat überzeugt sind, sich in einem Haltungs-Krieg zu befinden. Ich selbst wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass hier irgendwer andere Menschen benutzt, um diese gegeneinander aufzuhetzen.

Werte Betroffene, werter Betroffenenrat, werte UBSKM,

es geht hier nicht um einen Krieg, es geht um Opferschutz! Ich finde es eine bodenlose Unverschämtheit, so etwas zu unterstellen! Was bitte haben Nora und ich als Missbrauchsopfer und ich als DIS-Betroffene davon, Opfer gegeneinander aufzuhetzen? Ja, sie sogar zu benutzen? Ich denke noch nicht mal in „Parteien“, ganz im Gegenteil! Ich habe ernsthaft bis vor kurzer Zeit die Hoffnung gehabt, dass wir alle dasselbe wollen: Opfer schützen!

Und wenn Sie schon parteilich sind: Wo ist ihre „Parteilichkeit“ gegenüber Therapie-Opfern? Kein Wort über das, was der Mama angetan wurde, hat die UBSKM verloren. „Unterirdisch“ nennt man den Spiegel-Artikel. In der offiziellen Stellungnahme des Betroffenenrats wurde lediglich in einem (halben) Nebensatz (!) verallgemeinernd von einer Solidarisierung mit Betroffenen gesprochen, „die Erfahrungen mit Hilfeangeboten machen, die ihnen schaden“. Der Betroffenenrat zeigt keinerlei Betroffenheit! Und die UBSKM Kerstin Claus? (Bild-Quelle)

Diese legt anscheinend (?) einzig nur Wert darauf, dass die Berichte und Hilfeanliegen von Betroffenen nicht in Frage gestellt werden. Zumindest öffentlich kam kein Wort über die Betroffene der Falschtherapie.

Hier in diesem Land läuft etwas ganz gewaltig verkehrt.

Für mich als Betroffene einer schweren dissoziativen Störung und als Missbrauchsbetroffene steht fest: Wenn alles zur Aufklärung über die Verschwörungstheorie „Satanic Panic“ getan wurde und man sagen kann: „Traumatherapien sind weitgehend sicher“, werde ich mich komplett aus dem Internet und aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Ich möchte dann von alledem nichts mehr hören, nichts mehr sehen und nur noch meinen Lebensabend genießen dürfen.

Ich kann nur hoffen, dass meine Kinder und Enkelin niemals Missbrauch erleben. Nicht nur, weil das das Schlimmste ist, was man meinen Kindern antun könnte, sondern auch, weil sie nach so einem traumatischen Erlebnis mit großer Wahrscheinlichkeit keine gute Traumatherapie und Hilfe bekommen werden.

Es besteht momentan tatsächlich die Gefahr, dass bereits traumatisierte Menschen auf Grund einer Traumatherapie in den Abgrund getrieben werden und daran völlig kaputt gehen, was ich ganz und gar nicht dramaturgisch meine, sondern genauso wie es da steht.

Und Gnade denjenigen, die dennoch den Weg der Heilung suchen und zu berichten beginnen:

Alle können aktuell mitverfolgen, was dann passiert …

Empathie? Fehlanzeige!

Zum Weiterlesen:

GWUP-Artikel: „Science-Fiction und magisches Denken“: ein Psychiater über die Verschwörungsideologie vom satanisch-rituellen Missbrauch

Zu den Fußnoten 1 und 2

Das ist im Übrigen genau die Bloggerin, die uns Mitte 2022 die Eignung absprechen wollte, Opferschutz zu betreiben. Siehe dazu die Stellungnahme von Nora, die heute mehr denn je ihre Gültigkeit hat:

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2 Kommentare

  1. Ich habe noch eine andere Vermutung, warum so wenig mit der Leidtragenden sympathisiert, bzw. ihr Leid scheinbar gar nicht wahrgenommen wird. Ich gehe davon aus, dass die meisten von denen, die in Kommentaren (egal auf welcher Plattform) am lautesten krakelen, den Artikel gar nicht gelsen haben. 6,20€ für die Printausgabe geben sicher nicht viele aus und ein Abo für die Onlineversion werden auch die wenigsten haben.
    Somit ist auch klar, warum auf existierende Belege der stattgefundenen Fehltherapie nicht eingegangen wird, bzw. werden kann. Davon wird schlicht und ergreifend gar nichts gewußt.

    Was mich weiters extrem wundert ist, dass sonst in allen Gruppen/Foren/Posts fast gebetsmühlenartig von Zweifeln an der eigenen Diagnose DIS gesprochen wird.
    Jetzt, wo immer offensichtlicher wird, dass es Fehlbehandlungen und falsch positve DIS Diagnosen nicht nur auf dem Papier sondern auch in der Realität gibt, tauchen, zumindest offensichtlich auf den genutzten Plattformen, quasi keine Posts auf, in denen es darum geht, ob die eigene Diagnose vielleicht doch nicht korrekt ist. Plötzlich scheinen alle Zweifel passé zu sein (oder waren diese eventuell nur zur Schau gestellt, weil ja immer wenigstens eine*r antwortet, dass genau diese Zweifel zur Diagnose gehören und sie schon fast wie ein Diagnosekriterium „gehandelt“ werden?).

    Mich lässt die extreme Empathielosigkeit und die Welle an Egozentrirtheit, die einem in den letzten Wochen und Monaten entgegenschlägt, fassungslos zurück und bestätigt mir viele meiner bisher nur im stillen Kämmerlein zugelassenen Gedanken: Das meiste was man im Netz zu sehen und zu lesen bekommt dient einzig dazu, sich selbst darzustellen und aufzuwerten.
    Wiedergefunden habe ich mich in den gezeigten und geschriebenen Darstellungen nie. Aber nun weiß ich noch einmal mehr, warum ich mich der „DIS-Bubble“ nie zugehörig fühlen konnte und auch nicht wollte.

  2. Ihr Reaktionsvideo hat nicht lange auf sich warten lassen.
    Wo ihr jetzt hier irgendwo gedroht haben sollt ist mir schleierhaft.
    Netterweise hat sie aber schon die Paragraphen wegen Verleumdung herausgesucht. Vielleicht kann Malin Weber gegen Sie Klage deswegen einreichen. Wäre doch auch mal nett.

    Mir gefällt euer Artikel und ich sehe hier nichts aggressives. Letztens meinte jemand ganz treffend: das Thema wird in Politik und Fachverbänden diskutiert werden müssen. Es wird ein harter Brocken befürchte ich.

    Euch trotzdem vielen Dank für die Empathie gegenüber der anderen Art von Opfern!

    Lieben Gruß
    Sebastian

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