Dass Betroffene, bei denen Therapeuten iatrogen falsche Erinnerungen oder eine Dissoziative Identitätsstörung erzeugen, massiv geschädigt werden, wenn Suggestibilität mit Inszenierung auf einer Stufe gestellt wird, habe ich bereits dargelegt.
Suggestibilität ist eine angeborene und durch Traumata verstärkte Eigenschaft, die nicht nur für Gefahren sorgt, sondern auch für sehr viel Kreativität. Suggestibel oder auch hypnotisierbar zu sein – was im Übrigen auf traumatisierte Dissoziative Identitätsstörungen grundsätzlich zutrifft – bedeutet gleichermaßen, dass man eine sehr hohe Reizoffenheit hat.
Die US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron prägte den Modebegriff bzw. das psychophysiologische Konstrukt der Hochsensibilität. Die Kriterien hierfür wurden in einem derart breitgefächerten Ausmaß erstellt, dass sich fast jeder – vor allem aber fast alle psychisch kranken Menschen – damit identifizieren können. Entsprechend hoch ist auch der Gewinn für Autoren und Heiler, Heilpraktiker & Gurus, die dubiose Therapien erfunden haben.
Eine hohe Sensibilität ist jedoch nichts anderes als eine hohe Reizoffenheit – etwas, womit sich auch Autisten auskennen dürften. Das hat nichts mit einer hohen Empfindsamkeit bzw. Emotionalität zu tun (so wie man es damals darzustellen versuchte), sondern mit einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit, die sich auf Reize und Informationen bezieht. Der Grund liegt in einer rein neurophysiologischen Disposition: Es fehlt die Fähigkeit, Umweltreize und Einflüsse so zu filtern, wie es der Norm entspräche. Dadurch steht man alledem sehr ungeschützt gegenüber.
Diese hochsensiblen Menschen sind – weil sie eine hohe Sensibilität haben – auch entsprechend suggestibel. Das hat mit Inszenierung also nicht das Geringste zu tun! Wer das behauptet, fügt den Menschen, die betroffen sind, einen überaus verletzenden Schaden zu.
Das wirft die Frage auf, wieso man sich dazu hinreißen lässt. In meinem letzten Artikel mutmaßte ich, ob es ggf. um einen Echtheits-Wettbewerb geht. Letztendlich weiß ich es nicht. Es kann auch schlicht Unwissenheit sein, obwohl ich eigentlich der Meinung war und bin, dass sich in der DeGPT (Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie) fachlich ausgebildete Psychotherapeuten befinden.
Aber eines weiß ich: Dass diese unterstellende Gleichsetzung von Suggestibilität und Inszenierung einen ganz üblen Nebeneffekt hat.
Wenn das Stigma verbreitet wird, dass eine iatrogene Dissoziative Identitätsstörung gleichbedeutend mit Inszenierung und Simulation ist, wird man definitiv dafür sorgen, dass sich kein Betroffener mehr outet. Denn welches Opfer möchte sich schon im Nachhinein sagen lassen, dass man nur geschauspielert hätte, wenn man eigentlich schwer traumatisiert wurde?
Jeder der sich in der Vergangenheit geoutet hat, wozu auch einst Jenny Doe gehörte (eine Verlinkung wird bewusst außen vor gelassen), bekommt die Stigmata:
- psychisch schwer krank
- sehr dumm und naiv
- gut geschauspielert
- sie hat es ja wohl auch so gewollt
- sie hat ja genug davon profitiert
… abgesehen von den üblichen Unterstellungen: man würde zu den Tätern gehören, sich von denen leiten lassen oder aber wäre nachprogrammiert worden, um diese Lügen in die Welt zu setzen.
Diese Stigmata machen mundtot. Sie sorgen dafür, dass sich kein Einziger mehr outen wird, von falschen Erinnerungen oder einer iatrogenen DIS betroffen zu sein. Das war auch der Grund, wieso man – nachdem sich in den 1990ern einige öffentlich und ganz viele in entsprechenden Foren geoutet haben – anfing, sich zurückzuziehen.
Scham und Angst vor Verletzung
Ich möchte am Ende des Artikels etwas einfügen, was einst Jenny Doe schrieb. Es stammt bereits aus dem Jahr 2011:
Ich zitiere:
»Menschen, die von falschen (induzierten) Erinnerungen betroffen sind, werden sich meiner Erfahrung nach nicht öffentlich outen, weil sie wissen, dass sie massiv angegriffen und beschimpft werden. Zudem ist es beschämend öffentlich zuzugeben, dass man so „blöd“ war und sich manipulieren ließ. Ich kenne viele die zudem sagen: »Ich möchte nie wieder daran denken« Jede Konfrontation damit löst massive Gefühle aus, angefangen von Wut über Hilflosigkeit bis hin zu Scham, den eigenen Vater so was vorgeworfen zu haben, denn jetzt weiß der Vater ja, dass man sich Sex mit ihm vorgestellt hat. Ich war in Deutschland die zweite Frau, die öffentlich über das Thema falsche Erinnerung berichtet hat. Es ist kaum in Worte zu fassen, wie mit Menschen, die von falschen Erinnerung betroffen sind, umgegangen wird. Angefangen von Anzeigen von Psychotherapeuten, die mit meinem Fall überhaupt nichts zu tun haben, bis hin zu Gewaltandrohung, war alles dabei.«
Drohungen, Stigmata, Abwertungen und nun auch offizielle Begriffs-Verfälschungen, die Suggestibilität mit Inszenierung/Simulation gleichsetzen, sorgen systematisch dafür, dass man – falls sich doch mal jemand outet- von einem bedauerlichen Einzelfall sprechen wird. Und genau das verzerrt das eigentliche, realistische Bild komplett.