Autorin: Nora Sillan
In den zweiten und dritten Folge der Podcast-Serie von Raphaël Günther & Sonja Mühlemann geht der SRF der Frage nach, wie sich die Verschwörung zu Mind Control und ritueller Gewalt in der Schweiz dermaßen festsetzen konnte und etwas therapiert wird, was es in der Form gar nicht gibt. Sonja Mühlemann sprach hierfür mit einem dutzend Patient_innen, die bei unterschiedlichen Therapeuten wegen Mind Control therapiert werden. Schätzungsweise 100 Therapeuten in der Schweiz behandeln diesbezüglich, die Journalistin geht von einem Netzwerk von ca. 30 Personen aus, die dieses Thema auch bekannt machen möchten. Doch: „Die Geschichte kennt vor allem Opfer auf allen Seiten und lässt immer wieder Zweifel aufkommen. Zweifel an der eigenen Erinnerung und an den Erinnerungen anderer“, bringt sie die Problematik auf den Punkt. (Satanic Panic – im Teufelskreis)
Wie gestalteten sich die Recherchen in der Verschwörungs-Szene?
Sonja Mühlemann berichtet von Anfeindungen, es hat ihr jemand gesagt, sie wäre eine Täterin bzw. sie würde Propaganda machen, um Tätern zu helfen. Gewisse Dinge habe sie wie eine Drohung aufgefasst, erzählt sie. Zudem sind die Menschen, die die Verschwörungserzählung glauben, sehr gut vernetzt, „meistens wussten die bereits von mir bevor ich überhaupt Kontakt aufnehmen wollte.“ (ebd.)
Was noch dazukam: „Ich hab dann auch gemerkt, ich muss sehr vorsichtig sein, denn ich werde hier wahrscheinlich instrumentalisiert oder man versucht es zumindest (…)“, berichtet die Redakteurin von einer enorm aufgeheizten Stimmung und festgefahrenen Meinungen, die teilweise fanatisch sind.
Behandlungsfehler und Folgekosten
Der Podcast interviewt auch Dr. Frank Urbaniok, der erneut auf die Suggestionsgefahr in derartigen Psychotherapien hinweist, die wegen Mind Control therapieren. Dies seien klare Behandlungsfehler, die möglicherweise auch haftungsrechtliche Folgen haben können, so der forensische Psychiater. Urbaniok vergleicht derartige Therapien mit Dynamiken in einer Sekte, wo man nicht mehr herauskommt. Auch den versorgungspolitischen Aspekt spricht Urbaniok an: Das generiere hohe Krankenversicherungskosten bzw. Folgekosten für die eingetretenen Schäden -also Therapien von den Therapien.
Verfahren gegen „Traumapapst“ Jan Gysi
Gabriella Hagger war die erste von der Verschwörung betroffene Angehörige, die in der Öffentlichkeit über die satanistischen Missbrauchsvorwürfe, das Verfahren sowie dessen Einstellung gesprochen hat. Im Podcast berichtet sie, dass ihre ganze Familie immer noch unter der Fehltherapie der Tochter leidet, die den Kontakt abgebrochen hat. Diese werde bis heute falsch behandelt, und es tue ihr als Mutter weh, dass sie nicht für sie da sein kann. Manchmal komme es Hagger so vor, als wäre ihre Tochter in eine Sekte hineingegangen und sie hat es sich nun zum Ziel gesetzt, gegen diese Form der Verschwörung vorzugehen. Hagger hat rechtliche Schritte gegen Jan Gysi eingereicht, der – so der SRF-Bericht – ein Vordenker der Verschwörungserzählung in der Schweiz sein soll: „Er verbreite die Erzählung an Schweizer Psychiatrien und in Therapiezimmern und habe diese maßgeblich mitgeprägt“. Gegen Gysi laufen aktuell zwei Verfahren, ein Administrativverfahren bei der Gesundheitsdirektion Bern und ein Standesverfahren bei der Ärztegesellschaft. (Satanic Panic – im Teufelskreis bzw. siehe auch: „Beobachter“: Admin. Verfahren gegen Jan Gysi)
Gysis fachliche Tätigkeiten gehen von Kongressorganisation über Weiterbildungen bis hin zu Buchveröffentlichungen. Er ist, nach Recherchen des SRF, in mindestens zwei Netzwerken aktiv, die sich mit der Verschwörung befassen, so der von Gysi mitgegründete (und mittlerweile aufgelöste) „Verein für Opfersicherheit“, der u.a. zum Ziel hatte, die Ideen von „Mind Control, Gedankenkontrolle unter die Fachleute zu bringen“ bzw. elektronische Fußfesseln als Opferschutz einzusetzen. Diesbezügliche Anfragen an die Kantonspolizei Bern bzw. an Staatsanwaltschaften wurden ebenfalls gestellt, jedoch in einem dem SRF vorliegenden Bericht seitens der Polizei abgelehnt.
Das Fazit des Journalisten-Teams: „Die Story rund um diesen Verein zeigt, welche Gedanken da verbreitet wurden und wie weit das tatsächlich gehen kann. (…) Wir reden da über Fußfesseln. Und dass Jan Gysi da aktiv mitmachte. Das ist nur einer von vielen Hinweisen darauf, dass er eben doch eine wichtige Figur ist in dieser Verschwörungserzählung rund um Mind Control.“ Satanic Panic – im Teufelskreis
In einer schriftlichen Stellungnahme an den SRF weist Gysi die Beteiligung an der Verschwörungstheorie zurück. Gysi teilte dem SRF schriftlich mit:
„Ich verwehre mich gegen die Verschwörungstheorie, Kopf eines Netzwerkes, Vordenker oder Agitator zu sein. Diese faktenwidrigen und persönlichkeitsverletzenden Unterstellungen weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.» Und zu der Idee der elektronischen Fussfesseln hält er fest: «Das Projekt wurde 2021 bereits in einer frühen Abklärungsphase sistiert. Es wurde nie auch nur ansatzweise umgesetzt.“
Die auf die Verschwörungstheorie Mind Control bezogene Bezeichnung „Spindoctor“ über Gysi wurde im Gutachten zum Psychiatriezentrum Münsingen in weiterer Folge geschwärzt. Doch der SRF berichtet, dass Dr. Thomas Maier als Verfasser weiterhin am Inhalt festhält. Eine Einzelmeinung? Dazu äußert sich die Sonja Mühlemann klar: „Ich habe dann aber mit mehreren renommierten Psychologinnen und Psychiatern der Schweiz über die Ansichten und Konzepte von Jan Gysi gesprochen, über seine Publikationen und all diese Personen haben mir gesagt, diese Schriften seien teilweise pseudowissenschaftlich.“
Eine ehemalige Patientin von Jan Gysi hat sich beim SRF gemeldet, dass die Therapie ihr Leben negativ beeinflusste. In mehrstündigen Gesprächen belegte die Frau mit Unterlagen ihre Aussagen. „Die Dokumente zeigen Dinge, die weit davon entfernt sind, was man unter einer normalen distanzierten Patientin-Therapeuten-Beziehung versteht. (…) In den Dokumenten kommt auch heraus, dass Jan Gysi mit verschiedenen Persönlichkeitsanteilen der Patientin arbeitet, dass in der Therapie immer mehr davon entstanden, anstatt dass es weniger wurden.“ (ebd.)
Die Patientin berichtete im Interview, dass „immer tiefer“ gegraben wurde bzw. „das Schlimmste gesucht“, dass Gysi weitere Persönlichkeitsanteile von ihr in der Therapie finden wollte und dass gewisse davon noch mit Tätern in Kontakt stünden: „Er hat mich reguliert, er hat die Rolle von einem Managers übernommen über die Angstzustände. Er ist für mich Tag und Nacht erreichbar gewesen (…)“. Die ehemalige Patientin hatte schließlich Angst vor sich selbst und brach Kontakte zu nahen Menschen ab. Es führte zu einem Abhängigkeitsverhältnis und durch die Therapie gehe es ihr schlechter statt besser, sagte die Patientin zum SRF.
Was sind die aktuellen Konsequenzen in der Schweiz?
Die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie schreibt allgemein über suggestive Therapie: „Geführte Imaginationen zu bisher nicht erinnerten möglichen Ereignissen gelten als Kunstfehler“. Satanic Panic – im Teufelskreis.
Das Klinikum Münsingen schult zu dieser Thematik, u.a. mit einer Fachtagung und der Schweizer Psychologen-Berufsverband will seine Richtlinien anpassen. Dr. Thomas Ihde, Präsident von Pro Mente Sana, sieht im SRF-Interview eine Reflexion beim Thema rituelle Gewalt/ Mind Control in Gang gekommen, bei den Versorgungskonzepten für diese Patientengruppe ortet er aktuell Probleme und fordert runde Tische, Diskussionen und Sicherheitskonzepte bzw. unabhängige Ombudsstellen.
Das Problem ist jedoch: Der Glaube an diesen Verschwörungsmythos ist wie ein Virus, fassen die Journalisten zusammen. Und wenn sich der einmal in den Köpfen festgesetzt hat, bekommt man ihn kaum mehr weg.
Weiterführende Links:
https://www.srf.ch/audio/news-plus-hintergruende/satanic-panic-im-teufelskreis-folge-2?id=12402532 Podcast Teil 2
https://www.srf.ch/audio/news-plus-hintergruende/satanic-panic-im-teufelskreis-folge-3?id=12405868 Podcast Teil 3
https://www.srf.ch/audio/news-plus-hintergruende/satanic-panic-im-teufelskreis-das-sagt-pro-mente-sana?id=12411250 Interview zum Podcast
Hier geht es zum ersten Teil: