Autorin: Nora Sillan
Wenn ein Vereinsname in Deutschland seit Jahren für das Debunking des rituelle Gewalt-Mind Control-Narrativs steht, dann ist das die GWUP. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften zeichnet sich durch einen umfassend recherchierten Blog sowie zahlreiche Vorträge und Videos zum Thema aus und ist federführend für die Aufklärung im deutschsprachigen Raum.
Doch jüngst scheint es interne Diskussionen innerhalb der Mitglieder zu geben, was die (gesellschaftliche und GWUP-spezifische) Relevanz dieser Verschwörungstheorie betrifft. Dazu – und das ist kaum zu glauben – wird mancherorts sogar in Frage gestellt, ob dieses Narrativ überhaupt als Verschwörungstheorie zu lesen sei, oder nicht vielleicht doch eine berechtigte dissenting opinion darstelle.
Auf diesen Aspekt sind wir bereits an dieser Stelle detailliert eingegangen – Stichwort: Wird hier etwa die Berechtigung einer dissenting opinion zu einer bereits debunkten Verschwörungstheorie gefordert? Doch all diese Bedenken scheinen in gewissen GWUP-Kreisen ungehört zu verhallen, da sie auf eine Sichtweise treffen, die nicht nur brandgefährlich ist, sondern auch auf Halbwissen basiert, was die Kernelemente dieser Verschwörungstheorie angeht: Schon längst hat sich diese begrifflich und thematisch von der US-amerikanischen Satanic Panic der 1980er abgelöst, die zu Fehlverurteilungen, Falschbeschuldigungen und als Resultat Gerichtsverfahren im großen Stil fürte. Von ihrer Gefährlichkeit hat sie jedoch im Lauf der Jahrzehnte nichts eingebüßt, im Gegenteil.
War die „alte“ Satanic Panic noch leicht(er) zu durchschauen, gerät die heutige Version des rituelle Gewalt-Mind Control-Narrativs bei oberflächlicher Betrachtung leicht in den Strudel folgenden Denkens: „Das wird schon irgendwo seine Berechtigung haben, wo es doch offizielle Einrichtungen vertreten“. Wenn die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs auf ihrer Webseite von „Mind Control Phänomenen“ schreibt – was könnte denn daran schon falsch sein?! Schließlich sprechen wir von einer Institution, die durch Bundestagsbeschluss eingerichtet und pro Jahr mit einem Budget von rund 2,3 Millionen Euro aus Mitteln des BMFSFJ dotiert ist.
Genau hier sind wir jedoch bei einem Kernproblem, welches sich (leider) erst bei tieferer Recherche erschließt: Ja, in der Bundesrepublik Deutschland ist es traurige Tatsache, dass eine staatlich finanzierte Kinderschutz-Einrichtung diverse Thesen verbreitet, die mit den Ergebnissen aktueller (Gehirn)forschung und Psychologie nicht vereinbar sind. Und genauso ist es Faktum, dass zumindest ein Mitglied des Betroffenenrats der UBSKM während der Amtszeit keine trennscharfe thematische Abgrenzung zwischen der offiziellen Gremiums-Arbeit und dem privaten Aktivismus unter dem Fantasienamen „Pumuckel und Co“ in einschlägigen Internetforen über (satanistischen) Missbrauch betrieben hat. Auch darüber haben wir berichtet (siehe https://dissoziationen.de/news/fehlende-transparenz/). Wie viele an diesbezüglichen Thesen in die konkrete Arbeit des Betroffenenrats in Folge eingeflossen sind, darüber kann sich jeder beim Studium der Publikationen und Webseiten ein eigenes Bild machen.
Definitionsunschärfe und Begriffsvermischung
Ein weiteres Problem rund um das Narrativ: In Laienkreisen werden allzu oft zwei Verschwörungstheorien durcheinandergeworfen bzw. gleichgesetzt, die abseits gewisser Begrifflichkeiten nur bedingt etwas gemeinsam haben. Auf der einen Seite ist unter dem Stichwort „satanistisch“ häufig von QAnon die Rede, also von angeblichen satanistischen, weltumspannenden Kulten, welche zwecks Adrenochrom-Gewinnung Kinder foltern und ihnen Blut abzapfen. Auf der anderen Seite steht die in (Trauma)therapiekreisen mancherorts verbreitete These von ritueller Gewalt-Mind Control, um die es in der gegenständlichen Aufklärung geht.
Beim erstgenannten Narrativ von QAnon, Pizzagate & Co. ist auch Menschen, die nicht in das Thema eingearbeitet sind, binnen einer Sekunde klar, dass es sich – vulgärsprachlich ausgedrückt – um Bullshit handelt. Doch bei der These von RG-MC sieht es anders aus: Aufgrund der systematischen Begriffsverschiebungen und der bewussten Vermischung von ritueller Gewalt mit der unstrittigen Tatsache von organisierter Gewalt (Menschenhandel, Zwangsprostitution u.v.m.) sowie Missbrauchsformen, die in Sekten vorkommen können, gewinnt das Konzept von RG-MC eine Legitimität, die ihm auf Basis aller Fakten nicht zusteht.
Weiterhin diese beiden Verschwörungstheorien nicht klar voneinander zu differenzieren oder gar die Aufklärung per se als Verschwörung zu diffamieren (welch traurige Ironie!), ist nicht nur ein Rückschritt für die jahrzehntelangen Errungenschaften all jener, die darüber berichten, sondern gleichsam ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen: sei es als Therapieopfer von suggestiv arbeitenden Therapeuten, als Falschbeschuldigte aufgrund des Mind Control-Narrativs oder allgemein als Menschen mit Traumafolgestörungen. Zudem ist es ein Affront gegenüber den führenden Experten auf diesem Gebiet, die sich unisono gegen das Narrativ aussprechen und – last but not least! – ein Backlash für den Opferschutz, dem es in länderübergreifendem Konsens zwischen der Schweiz und Deutschland darum geht, besonders vulnerable Menschengruppen zu schützen.
Es wäre äußerst bedauerlich, wenn der diesbezügliche Standpunkt innerhalb der GWUP und ihre klare Position zu diesem Narrativ ins Bröckeln gerät: Sei es aus fachlicher Unkenntnis oder aus wahltaktischen Gründen, der von Andre Sebastiani geforderte Blick über den Tellerrand (siehe: https://dissoziationen.de/2024/01/20/till-amelung-die-satanic-panic/) darf nicht noch weiter ausgereizt werden, ohne dass die GWUP Gefahr läuft, ihr Standing als aufklärende Institution zu verlieren.
Quo vadis, GWUP? Auf dem Spiel steht jedenfalls (zu) viel.