Dass die Entscheidung des ZDF-Fernsehrats über Böhmermanns „Magazin Royale“ hohe Wellen schlagen würde, war klar. Immerhin war diese ganz und gar nicht alltäglich: Die Programmbeschwerden wurden schließlich „nicht nur diskutiert, sondern eine von ihnen zugelassen, was selten geschieht“, wie die Süddeutsche Zeitung festhält. Noch weniger alltäglich war in Folge die radikale Konsequenz, also die komplette Löschung der Satiresendung von den offiziellen ZDF-Streaming-Plattformen – gerade so, als hätte sie nie existiert.
Nun äußerte sich auch die redaktionelle Leitung vom „Magazine Royale“ öffentlich zur Löschung ihrer Sendung, wie das Branchenmagazin Meedia berichtete: „Die Redaktion des „ZDF Magazin Royale“ ist verwundert über die Entscheidung des ZDF-Fernsehrates über eine Programmbeschwerde zur Sendung vom 8. September 2023. Aus der Debatte ging nicht hervor, ob der Fernsehrat überhaupt einen Verstoß gegen die Programmgrundsätze festgestellt hat.“
Was gehört zum Tätigkeitsbereich des ZDF-Fernsehrats?
Genau damit sind wir beim springenden Punkt, wie es der Redaktionsleiter der Satiresendung gegenüber Meedia formuliert: „Der Fernsehrat diskutierte stattdessen, welche Themen sich per se für eine Satiresendung eigneten, und welche Themen eine freie Redaktion besser nicht auswählen und bearbeiten solle. Das ‚ZDF Magazin Royale‘ ist überrascht, dass zum Tätigkeitsbereich des ZDF-Fernsehrats offenbar die Auswahl von redaktionellen Themen gehört.“ Die sachlichen bzw. rechtlichen Begründungen, warum der Programmbeschwerde der Aufarbeitungskommission stattgegeben wurde, sind offen geblieben, schreibt das Branchenmagazin weiter.
Das führt in Summe zur Fragestellung, was die Aufgaben des Fernsehrates sind. Und: Wer kontrolliert die Kontrollinstanz Fernsehrat? Eingerichtet wurde der Fernsehrat als kontrollierende Einrichtung, seine Tätigkeitsfelder sind anhand rechtlicher Grundlagen klar definiert: Als nicht weisungsgebundenes, dh. unabhängiges Gremium vertritt der ZDF-Fernsehrat die Interessen der Allgemeinheit. Dementsprechend breit sind auch die entsendenden Organisationen, aus denen die 60 Mitglieder des Rates zusammengesetzt sind.
Rechtliche Grundlagen
Über die Aufgaben des Fernsehrats heißt es in § 20 des ZDF-Staatsvertrages 1991 idF von 2020 konkret: „Der Fernsehrat hat die Aufgabe, für die Sendungen des ZDF Richtlinien aufzustellen und den Intendanten in Programmfragen zu beraten. Er überwacht die Einhaltung der Richtlinien und der in §§ 5, 6, 8 bis 11 und 15 dieses Staatsvertrages aufgestellten Grundsätze.“ In diesen enumerativ aufgezählten Folgeparagraphen geht es unter anderem um Angebotsgestaltung, Vielfalt, Objektivität, Jugendschutz und Ausgewogenheit in der Berichterstattung.
Die angesprochenen Richtlinien wurden in Form der sogenannten Programmrichtlinien in der Fassung vom 30.6.2023 vom Fernsehrat selbst ausformuliert. Darin findet sich folgender Passus: „Der ZDF-Fernsehrat stellt diese Richtlinien einschließlich der Qualitätsstandards und standardisierter Prozesse zu deren Überprüfung entsprechend seiner Aufgaben nach § 31 Abs. 4 Medienstaatsvertrag auf. Sie sind gemeinsam mit den gesetzlichen Regelungen Basis für seine kontinuierliche Programmbegleitung und -überprüfung.“
Wurden im Anlassfall des „Magazin Royale“ die Programmrichtlinien ausreichend als Basis für die Entscheidung genommen? Bzw. ist der Fernsehrat seiner durch den ZDF-Staatsvertrag übertragenen Aufgabe nachgekommen, für die Überwachung der genannten Grundsätze und Richtlinien zu sorgen? Und vor allem: Warum blieb der Fernsehrat offenbar die exakte Begründung schuldig, welche genauen Programmrichtlinien seiner Meinung nach verletzt worden sind?
Der Spiegel zitierte bereits am Tag der Fernsehrats-Entscheidung eine Sitzungsteilnehmerin, die berichtete, dass es in der Diskussion nur nachrangig um die ZDF-Programmgrundsätze ging, sondern die emotionalen Auswirkungen auf Betroffene im Mittelpunkt standen.
Damit landet man unweigerlich bei folgender Überlegung: Hat der Fernsehrat möglicherweise seine Kompetenzen überschritten und sich in die inhaltliche Themenwahl einer ZDF-Sendung eingemischt?
Es ist zu hoffen, dass dieser Anlassfall nun zu einer breiten Diskussion über die Entscheidung des Fernsehrats führen wird – und ob es hier vielleicht eine mutmaßliche Instrumentalisierung des Gremiums seitens der Beschwerdeführer gegeben haben könnte.
Kleiner Pressespiegel zur „Causa Fernsehrat“: Abschließend noch ein Kurzüberblick über ausgewählte Artikel der aktuellen Berichterstattung: Der Spiegel ordnet – neben seiner Berichterstattung über die Löschung der Sendung – in einem Kommentar die Sachlage ein: „Dass die Folge nun in der ZDF-Mediathek nicht abspielbar ist, markiert den Tiefpunkt einer Diskussion, in der das Leid von Opfern gegeneinander ausgespielt wird.“ Anstatt einer klaren Abgrenzung von schädlichen Thesen obskurer Therapeuten drängt die Aufarbeitungskommission darauf, die Debatte zu unterbinden, schreibt Christopher Piltz. Angesichts des Umgangs öffentlicher öffentlicher Gremien mit Kritik fragt der Journalist in Folge berechtigterweise nach dem Wert einer Institution, „die Opfer schützen soll, wenn sie nicht mit aller Kraft versucht, Falschinformationen zu unterbinden, die weitere Opfer erschaffen.“ Sein Fazit: „Ämter wie das der Missbrauchsbeauftragen sind wichtig. Sie sollten es gerade deshalb aushalten, kritisiert zu werden. Und dazu beitragen, Missstände im Hilfssystem aufzuklären. Und nicht darauf drängen, die Debatte abzuwürgen. So, wie jedes Missbrauchsopfer eines zu viel ist, sollte auch jeder Patient einer Fehltherapie einer zu viel sein.“ Sein Fazit: „Ämter wie das der Missbrauchsbeauftragen sind wichtig. Sie sollten es gerade deshalb aushalten, kritisiert zu werden. Und dazu beitragen, Missstände im Hilfssystem aufzuklären. Und nicht darauf drängen, die Debatte abzuwürgen. So, wie jedes Missbrauchsopfer eines zu viel ist, sollte auch jeder Patient einer Fehltherapie einer zu viel sein.“ Auch die Süddeutsche Zeitung spricht Klartext und schreibt in ihrem Hintergrundartikel mehr als deutlich, wie Böhmermanns Sendung zu verstehen war – und wie eben nicht: „Nun konnte man die Satire in der gelöschten Sendung eigentlich nur schwer so verstehen, dass sie sich gegen Opfer von sexualisierter Gewalt richtete. Zielscheibe war insbesondere Michaela Huber, die mit anderen Therapeuten auch in einer diesjährigen Spiegel-Recherche schwer angegriffen wurde, außerdem die aus den Neunzigerjahren in den USA bekannte „Satanic Panic“, in der Medien eine Furcht vor Satanisten anheizten – mit üblen Auswirkungen in der Strafverfolgung.“ Last but not least bringt das Portal Übermedien einen lesenswerten Bericht über die Thematik von ritueller Gewalt. Unter dem Titel „Wer ist hier im Wahn?“ gibt Sebastian Fobbe einen Überblick über die teils widersprüchlichen Medienberichte und beschreibt die grundlegenden Problematiken in der Berichterstattung. Eine Detailanalyse zu diesem Artikel liefert Bernd Harder im GWUP-Blog: „Die Medien und die Satanic Panic: Tipps von einem Kollegen.“ |
Weiterführende Links:
GWUP-Blog: Falscherinnerungen und die Satanic Panic: Gibt es eine Lernkurve bei der UBSKM?
GWUP-Blog: Die Medien und die Satanic Panic: Tipps von einem Kollegen
GWUP-Blog: Satanic Panic: Ominöses rund um die Böhmermann-Sendung zum Thema rituelle Gewalt
Infoportal Satanic Panic: ZDF zieht Sendung zu Ritueller Gewalt zurück
Medienberichte:
Meedia: Was das ZDF-Magazin Royale zur Entscheidung des Fernsehrats sagt
Der Spiegel: ZDF muss Böhmermann-Sendung aus Mediathek löschen
Übermedien: Rituelle Gewalt. Wer ist hier im Wahn?