Diskussion: RG-MC und mediale Berichterstattung

Autorin: Nora Sillan

Bislang konnte man viel darüber lesen, welche Auswirkungen die Verschwörungstheorie rituelle Gewalt & Mind Control auf Therapieopfer, Betroffene sowie die Therapeuten-Szene hat. Dabei ist jedoch ein wenig unter den Tisch gefallen, wie Journalist:innen, die direkt in der Aufklärung über das Narrativ tätig sind, ihre eigene Berichterstattung über rituelle Gewalt erleben. Genau diese Lücke schließt nun eine aktuelle Panel-Diskussion der journalistischen „Netzwerk Recherche“-Jahreskonferenz in Hamburg.

Die auf YouTube abrufbare Diskussion zeigt genau diese Schwierigkeiten auf – und wie man am besten damit umgehen kann:

Gäste des Talks sind Rabea Westarp (Labo M / Vollbild), Christopher Piltz (Der Spiegel) und Niklas Tröschel (ZDF Magazine Royale), die in den vergangenen Monaten über das Narrativ bzw. Fehltherapien berichtet haben.

Bereits der Titel „Wie kritisch sollten Erzählungen von Missbrauchsopfern hinterfragt werden?“ geht direkt in medias res, wie Moderatorin Sarah Ulrich („Netzwerk Recherche“) erklärt und die Eckpunkte des Narrativs von RG umreißt. Dazu berichtet sie über ihren ersten Kontakt mit dem Thema, als ein bekannter Traumatherapeut mit diesbezüglichen „Informationen“ über einen satanischen, Kinder-mordenden Kult in Berlin an sie herangetreten ist. Ulrich erläutert, wie sie „erst einmal drauf reingefallen sei“, bis sie gemerkt habe, dass dieses Story nicht stimmen könnte, sondern zu einem bereits aufgedeckten Narrativ passe.

Die Gefahren des Narrativs rund um rituelle Gewalt

Auch Christopher Piltz, bekannt durch seine diesbezüglichen Reportagen im Spiegel, erzählt über seinen ersten Zugang zum Thema, den er – im Gegensatz zu Sarah Ulrichs Erfahrungen – durch Personen bekommen habe, die sich kritisch mit dem Narrativ befassen, nämlich Mitarbeiter der Sekteninfo NRW. In Folge führte Piltz Gespräche mit mehreren Personen, denen von Therapeuten oder durch eigenes Lesen suggestiv falsche Erinnerung vermittelt wurden. Der Journalist warnt davor, von Symptomen auf die Ursache zu schließen sowie Erinnerungsarbeit, wenn das Einfallstor für Suggestion sehr groß wird. Denn das Fatale daran: „Der konkret Schuldige [am Missbrauch; Anm.] verschwindet dann auf einmal in so einer ominösen Gruppe Unbekannter, die dahinterstecken sollen. Das macht das Ganze viel größer und schlimmer und gleichzeitig für dich selbst sogar verkraftbarer, weil das Unbekannte sind und nicht eine konkrete Person, die du kennst.“

Angesichts der teilweise blutrünstigen Schilderungen, die in der einschlägigen Literatur zu finden sein, spricht sich der Spiegel-Journalist für einen Plausbilitätscheck aus: Wie wahrscheinlich könne es in Deutschland sein, dass so viele Menschen auf diese Art umgebracht werden, ohne dass es Belege, Hinweise oder Anzeichen gibt? Und wenn die Antwort darauf sei, dass alle beteiligt wären – von Polizei bis Staatsanwaltschaft – dann komme man schnell zur bekannten Verschwörungstheorie. Problematisch sei jedoch, dass sich vieles an der Grenze bewegt von dem, was es wirklich gibt, zum Beispiel Abhängigkeiten von Opfern, die sich nicht vom Täter lösen können. Auch das geänderte Wording, wenn nun von „Manipulation“ und „Konditionierung“ anstatt von „Satanismus“ und „Mind Control“ gesprochen wird, erschwert die Recherche, so Piltz.

Hintergründe zum Magazine Royale

Die Auswirkungen und den Gegenwind, den man als Journalist erfährt, wenn man über diese Verschwörungstheorie berichtet, schildert im Anschluss Niklas Tröschel. Der Mitarbeiter der ZDF-Sendung Magazine Royale, gegen den noch heute eine Klage läuft, berichtet über die Ereignisse, welche der Depublizierung der Böhmermann-Sendung vorausgegangen sind. Für ihn ist es wichtig, innerhalb der zahlreichen Vorwürfe (wir haben berichtet) zu differenzieren: Auf der einen Seite stehen die empfangenen Nachrichten von denjenigen, die von sich selbst sagen, von dieser Art von Gewalt betroffen zu sein – dies sei der Strang, den man besonders wichtig nehmen müsse, so Tröschel: Es verunsichere durchaus, gesagt zu bekommen „mir ging es wahnsinnig schlecht wegen eurer Sendung“.

Die inhaltliche Kritik gipfelte in der bekannten Programmbeschwerde der Aufarbeitungskommission: „Ich glaube, dass diese Bubble durchaus ganz gut organisiert ist, weswegen dann relativ auf schnellem Schlag eine sehr massive Kritik war.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass Mitglieder dieser Kommission teilweise sehr gut wissen, wie der Fernsehrat funktioniere, fügt Tröschel hinzu, weil sie selbst darin gesessen bzw. zu bestimmten Freundeskreisen gehört haben. Was das Strafverfahren angeht, spiele auch das Format der Sendung bzw. Böhmermann als polarisierende Figur eine Rolle.

Bezugnehmend auf die Kritik an Michaela Huber, die Gegenstand der Sendung war, spricht Tröschel von einer Welle an Aktionen, die daraufhin gestartet wurde, um das Format auf allen Ebenen zu diskreditieren – einstweilige Verfahren, persönliche Anzeigen und Berichte, die sogar angaben, dass der Staatsschutz ermitteln würde, was seriöse Medien aufgriffen. Den Grund für die Depublizierung der Sendung ortet der Journalist auch in strukturellen Problemen des Fernsehrats bzw. in mangelnder Informationslage bei der Plenumsdiskussion. Dazu kam auch, dass die in Magazin Royale kritisierte Bundesfamilienministerin ebenfalls im Fernsehrat saß und „überraschenderweise die Sendung nicht so gut fand“.

Persönliche Diskreditierungen

Rabea Westarp hat für das Format „Vollbild“ über den Opferverein El Faro recherchiert und über manipulierte Erinnerungen sowie fragwürdige Methoden in der dazugehörenden Heilpraktikerausbildung. Danach bekam die Journalistin ähnliche Anfeindungen (Stichwort: „Schmutzkampagne“ bzw. „tätergesteuert“), wie man es aus dem Umfeld der Aufklärung über die Satanic Panic kennt. Westarp beschreibt die Diskreditierung ihrer Protagonisten als Täter sowie persönliche Diffamierungsversuche gegen sie als Person. Der Ausspruch „wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ sei ein Erkennungsmerkmal dieses Narrativs, berichtet sie. Und: „Man könne damit jeden zum Täter framen“.

Wie kann eine gute Berichterstattung über dieses Thema gelingen?

Als Fazit für den medialen Umgang mit der Thematik rituelle Gewalt diskutieren die Journalisten über das Spannungsfeld zwischen dem Glauben an Opferberichte sowie einem notwendigen Infragestellen der Informationen. Ein allgemeiner Plausibilitätscheck sei essenziell sowie möglichst ein Zwei-Quellen-Prinzip, was allerdings bei Berichten über Missbrauch oft schwer umzusetzen sei. Die Diskussionsteilnehmer plädieren für eine Abklärung im Vorfeld mit dem Interviewpartner über den Verifikationsprozess, der stattfinden wird, sowie allgemein eine sachlich-kritische Haltung, z.B. selbst so unemotional wie möglich zu sein, aber dennoch empathisch und sensibel. Selbstverständlich gehe es nicht darum, Missbrauch den Standpunkt abzusprechen. Es brauche jedoch immer das Bewusstsein, dass man als Journalist weder Sozialarbeiter noch Therapeut sei, auch wenn es in einzelnen Gesprächen zu dem Punkt führe: „Es tut mir leid, ich versteh dein persönliches Leid, aber ich habe leider nicht genug, dass ich jetzt so darüber berichten könnte, dass alles fundiert ist“.

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