Autorin: Nora Sillan
Auch der dritte Talk (Juli 2024) von Lydia Benecke, Holm Hümmler, Bernd Harder und Annika Harrison zum Thema Satanic Panic bringt wieder viele Infos in kompakter Form. Als Gäste sind diesmal Bianca Liebrand, Frank Urbaniok, Kai Funkschmidt und zum ersten Mal Claudia Müller (Aussteigerin aus der OCG und ehemals Mitverantwortliche für Klagemauer.tv) dabei:
Einige Themen im Überblick:
Peer Brikens Studie und die UBSKM
Gleich zu Beginn des Talks weist Bernd Harder auf den im Frühjahr erschienenen Artikel von Peer Briken hin, der nun erstmals auf die Kritik reagiert hat . Auch Frank Urbaniok begrüßt diese Klarstellung, denn in Brikens ursprünglicher Studie wurde quasi durch die Hintertür eine Prävalenz für RG-MC suggeriert, indem von Behandlungsbedarf bzw. dem noch nicht gedeckten Forschungsbedarf gesprochen wurde. Daraus ergab sich in Folge das Problem, dass diese Studie von Anhängern des Narrativs als Referenz genommen wurde. Dennoch kann diese Stellungnahme erst ein Anfang sein: „Es ist gut, dass die Stellungnahmen kommen, es ist gut, dass sich Fachverbände, Funktionäre positioniert haben. Das ist ein bisschen die Eintrittskarte für die Diskussion, doch das heißt noch nicht, dass die Kuh vom Eis ist“ – denn gerade in der Praxis, so Urbaniok, therapieren diejenigen, die Fehltherapien vertreten, munter weiter.
Die Instrumentalisierung des Satanic Panic Narrativs
Die Thesen von RG-MC haben aufgrund der Dualität Gott-Satan bzw. Gut-Böse eine klare Anschlussfähigkeit zu christlich-fundamentalistischen Kreisen, sagt Bianca Liebrand und bringt als Beispiel die errichteten Schutzhäuser für rituell missbrauchte Frauen.
Claudia Müller, OCG-Aussteigerin, berichtet in diesem Zusammenhang über Ivo Saseks gezielte Nutzung des Narrativs, um die eigene Agenda des ‚bösen Staates‘ zu untermauern. Es ist ein starkes Motiv, um Menschen zu erreichen, die vermeintlich ‚bösen Eliten‘ zum Sturz zu bringen, ortet Müller die Beweggründe hinter der Kla.TV Maschinerie bzw. der Forcierung des Satanic Panic-Narrativs.
Neben dieser deutlichen Instrumentalisierung des Themas fällt noch eines auf: Es sind in der Mehrheit Frauen, die von Satanic Panic berichten. Hier ist historisch – neben dem fundamentalen Christentum – auch das Trägermilieu der feministischen Bewegung relevant, berichtet Funkschmidt über die feministische Grundierung des Narrativs. Frank Urbaniok ergänzt, dass durch die Frauenbewegung ab den 1960er Jahren eine längst überfällige Sensibilisierung der Gesellschaft für sexuellen Missbrauch, Inzest etc. erfolgt ist, dieses ursprünglich dringend notwendige Anliegen, Opfern eine Stimme zu geben, jedoch einen Kipppunkt erreicht hat: „Wie es immer ist in jedem Thema, es kommt dann irgendwann der Kipppunkt, wo Trittbrettfahrer und Sektierer kommen und sich dieses berechtigten Themas annehmen und dieses drehen und überdehnen.“ Gerade das Thema sexueller Missbrauch habe eine große Emotionalität und Sprengkraft.
Satanic Panic und die GWUP – Ereignisse vor der Wahl 2024:
Anschließend kommt Frank Urbaniok auf die prä-Wahl-Geschehnisse zum Thema Satanic Panic innerhalb der GWUP zu sprechen. Für die GWUP seien Fakten und Differenzierung besonders wichtig, aber in der populistischen Art der Agitation könne man jedes Thema drehen unter dem Motto, nur eine Frage zu stellen, so Urbaniok: „Selbstverständlich darf und muss es immer unterschiedliche Meinungen geben, es muss den Diskurs geben, aber man könnte sagen, der Markenkern der GWUP ist ja, dass man sich zu solchen Themen klar positioniert und dass man gegen Verschwörungen antritt.“ Bedauerlich und hoch problematisch ist, fügt Holm Hümmler hinzu, dass der jetzige Vorsitzende im Winter ausgiebig ein Forum geboten hat, um diese These auszubreiten, ohne dass seitens des aktuellen Vorstands eine kritische Einordnung stattgefunden habe. Kai Funkschmidt äußert in diesem Zusammenhang seine Verwunderung, dass seitens offizieller Vertreter damals kein Riegel vorgeschoben wurde, sondern interviewartig die Sache gefördert wurde: „(…) Skeptiker wie ich sie kenne, müssten sich eindeutig gegen diese Verschwörungstheorie positionieren und da nicht so halbgare Sachen raushauen.“ (Wir haben berichtet: Till Amelung und die Satanic Panic)
Opfer von Fehltherapien und False Memory
Zum Thema Opfer von False Memory bzw. Fehltherapie betont die Gesprächsrunde unisono, dass diese Opfer immer noch im Stich gelassen werden. Kai Funkschmidt fasst die Problematik von Aufarbeitungsstellen zusammen: „Ihr könnt doch nicht vor lauter Blindheit, weil ihr die einen Opfer, die Betroffenen, im Blick habt, einfach nur sagen: ‚Ich stehe an der Seite der Betroffenen. Deswegen glaube ich diese rituelle Gewalt.‘ Dann sage ich: Nein, du stehst an der Seite von bestimmten Betroffenen, nämlich denen von sexuellen Missbrauch. Aber du lässt andere Betroffene im Stich, die nicht so eine gute Lobby haben, auf die keiner schaut, und das sind die Fehltherapie-Opfer. Die haben es auch schwer Gehör zu finden.“
Urbaniok fügt hinzu, was niemand je bestritten hat, nämlich dass es natürlich grausamste Formen von sexuellem Missbrauch gibt mit dementsprechenden Opfern. Aber: „Opfer von falschen Therapien, von False Memories, von eingeredetem Missbrauch und von Falschbeschuldigungen sind verdammt noch mal auch Opfer.“ Dieses Spannungsverhältnis, erläutert der Psychiater weiter, halten viele Menschen nicht aus und positionieren sich auf der einen oder anderen Seite. Die Maßgabe sei jedoch, die Glaubwürdigkeit von Opfern nicht generell anzuzweifeln, aber Aussagen ergebnisoffen zu untersuchen. Und er warnt vor der Sichtweise, Opfer, die nicht zur eigenen Theorie passen, über die Klinge springen zu lassen: „Wenn wir uns für Opfer einsetzen, dann setzen wir uns für alle ein.“ Ein Ausstieg aus einer Fehltherapie sei von der Schwierigkeit mit einem Sektenausstieg vergleichbar, aber diese Menschen haben kein Versorgungsangebot: „Die lassen wir im Moment von den Institutionen her im Regen stehen und das geht nicht.“ Was staatliche Versorgungsstellen angeht, sollte sich die UBSKM so positionieren, dass sie nicht noch eine Vorlage gibt für Fehltherapien, so Urbaniok.
Das Leid von Opfern von Fehltherapien und deren beängstigende Lebensrealität erläutert Lydia Benecke anhand von Liebrands Text „Zersplitterung nach Therapie“: „Wenn man sich einfach kurz vorstellt, wie wäre das, wenn du denken würdest, ich kann mir selber nicht vertrauen, ich kann niemandem da draußen vertrauen, ich kann meinen Erinnerungen nicht vertrauen und ich kann nicht wissen, ob ich gleich losgehe und irgendwo bei einem satanischen Ritual ein Baby schlachte.“ Dass dies keine Übertreibung ist, ergibt sich aus der bestehenden Literatur.
Gibt es die DIS?
Nach jahrelanger Beschäftigung mit Studien und Fällen bringt es Frank Urbaniok auf den Punkt: „Ich bin überzeugt, die DIS im Sinne von strukturellen abgespaltenen Persönlichkeiten, die ein Eigenleben führen, das gibt es nicht.“ Was es jedoch gebe, sind jede Menge Phänomene von traumatisierten Menschen, Traumafolgestörungen bzw. unterschiedliche Symptome im dissoziativen Bereich. Bezugnehmend auf Dr. David Spiegels Interview im Video „Sybil. A brilliant hysteric?“ weist Benecke ergänzend darauf hin, dass es nicht um mehr als eine komplette Persönlichkeit gehe, sondern um eine Persönlichkeit, die in ihren Zuständen Schwierigkeiten damit habe, diese in ihrer Wahrnehmung im Gesamtbild zu verbinden.
Daneben gibt es jedoch – wie allseits bekannt – die Inszenierungen von DIS in den sozialen Medien, wo die DIS als identitätsstiftender Teil zelebriert wird.
(Marvel Stella geht HIER in einem extra Artikel etwas näher auf dieses Thema ein.)
Zur Definition von rituelle Gewalt
Die Problematik dieses Begriffs ist nicht neu, vor allem dessen Tendenz zur Verwässerung. Kai Funkschmidt führt hierzu die Begriffsentwicklung von Satanic Ritual Abuse (SRA) über satanisch rituelle Gewalt bis zum Weglassen des Wortes „satanisch“ in den 2010-er Jahren aus. Momentan spricht man von „organisierter, sexueller Gewalt“, doch intern wird weiterhin mit den dazugehörenden Elementen gearbeitet (verdrängte Erinnerung, Mind Control, anhaltender Täterkontakt, etc.) und allein durch die Verwendung der Bezeichnung rituelle Gewalt das dahinterstehende Narrativ quasi „mitgekauft“. Fazit: Es sei eine sehr erfolgreiche Camouflage.
Die Bezeichnung rituelle Gewalt erkläre nicht viel als Begriff, verhindere wichtige Unterscheidungen und diene auch als Schutzschirm für obskure Vorstellungen, ergänzt Urbaniok. Daneben steht natürlich unbestritten fest: „Es gibt natürlich rituelle Elemente in z.B. der Kinderprostitution und in fürchterlichen, sexuellen Missbrauchspraktiken, wo einzelne Elemente rituell aussehen. (…) Sexualstraftaten sind immer bedingt: entweder es geht um Geld, um Sex oder Macht oder eine Kombination von diesen Dingen. Es geht nicht – und das ist bislang nicht nachgewiesen – es geht nicht um die Verwirklichung irgendeiner Weltanschauung durch den sexuellen Missbrauch, um einen ideologischen Grund“. Das sei, so der Psychiater, das Verwirrende an diesem Begriff.
Aus diesem Grund hat Bianca Liebrand im Jahr 2019 auch die Bezeichnung rituelle Gewalt-Mind Control (RG-MC) gewählt, um die Verschwörungstheorie exakt abzubilden.
Apropos Begriffsunschärfe von ritueller Gewalt: Diese wird auch im eingangs genannten Papier von Peer Briken thematisiert mit dem Wunsch nach Zusammenarbeit von Fachleuchten. Diesbezüglich hat es jedoch noch keine Initiative gegeben, sondern man finde alles andere als offene Türen, eine breite fachliche Diskussion sei noch nicht zu sehen.
„Satanismus-Hexen-Fetisch“ als neuester Twist
Eine neue Sache ist, dass nun behauptet wird, dass es nicht um eine Ideologie gehe, sondern um ominöse Gruppen mit einem „Satanismus-Hexen-Fetisch“, erläutert Lydia Benecke. Indizien oder Belege werden von den Vertretern dieser Behauptungen allerdings nicht geliefert. Es stellt also einen weiteren Aspekt der Verschwörungserzählung dar, der u.a. von einer in der Szene bekannten Userin auf X verbreitet wird. Der Kriminal-Psychologin, die ihre Diplomarbeit über BDSM geschrieben und sich in Folge weiter damit wissenschaftlich befasst hat, ist keine größere Gruppe bekannt, die z.B. „Satan fetischisieren“ würde.
Aufgrund der Fülle der Themen können hier nur einige Stichworte zum Nachlesen wiedergegeben werden. Es empfiehlt sich also, das spannende und kurzweilige Video in Gänze anzusehen.
In der Schweiz sollte bei Kindsgefährdung die KESP eingeschaltet werden…Das Problem ist, dass die Fachleute KESP überfordert sind..