Neutrale Hilfe für Opfer von sexueller Gewalt & Bildquelle und Link zum Handzettel Opferschutz „sexuelle Gewalt”: https://www.polizei-beratung.de |
Autorin: Nora Sillan
Schade: Der kurze Radiobericht des WDR hätte (genauso wie das vor einigen Wochen ausgestrahlte Radiofeature) eigentlich das Potenzial gehabt, sich als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt klar zu positionieren: gegen Verschwörungstheorien und für Aufklärung. Es war eine Chance, die nicht genutzt wurde.
Nachdem der WDR vergangene Woche über die Schließung der Beratungsstelle für rituelle Gewalt des Bistums Münster berichtet hat, befragt Nadja Bascheck von WDR 5 für die Sendereihe „Diesseits von Eden“ nun deren Gründerin Brigitte Hahn, die auch für das ARD-Radiofeature interviewt worden ist (für eine detaillierte und kritische Analyse siehe: Replik).
Bereits der Teaser zum 7-minütigen WDR–Gespräch kontextualisiert die Thematik in einem „kultisch-satanistischen“ Bereich:
„Geheimkulte und Satanismus, Vergewaltigung und Gewaltorgien – bisher konnten Betroffene ritueller Gewalt sich mit ihren Schilderungen an eine Beratungsstelle in Münster wenden. Nach öffentlicher Kritik wurde sie nun geschlossen.“
Quelle: Radiobericht
Wie äußerst sich die Interviewpartnerin dazu? Gefragt nach dem, was ihr durch den Kopf gegangen ist, findet Brigitte Hahn es „absolut daneben“, „eine Katastrophe“ und „schrecklich“, dass die Beratungsstelle geschlossen wurde aufgrund des (ebenfalls „schrecklichen“) Bericht des Spiegels, wie sie wörtlich sagt.
Im Lauf des Interviews bezieht sich Hahn auf die typischen Satanic Panic-Elemente, wenn sie von Menschen erzählt, die von Geheimkulten berichteten, einem Glauben an Satan und diesbezüglichen Rituale. Dinge, an denen sie – ihren eigenen Angaben zufolge – nicht zweifelte:
„Also ich hatte keinen Zweifel an dieser Glaubwürdigkeit. Erstmal die Art der Berichterstattung, die immer konsistent war, wo ich Verbindungen herstellen konnte. Und ich habe mich auch viel mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, und da sind unsägliche Dinge passiert, die damals auch niemand glauben wollte, von daher gehe ich davon aus, dass es Menschen gibt, die anderen Menschen extreme Gewalt zufügen. Und jetzt durch die ganze Diskussion mit sexuellem Missbrauch, also diese Pornoringe, die man jetzt aushebt, da gibt es auch immer wieder Kommentare, selbst von Polizisten, die sagen, so was hätten wir nie für möglich gehalten, was wir dort sehen an Gewalt.“
Quelle: Radiobericht
Was in dieser Aussage auffällt: Erneut werden Querverbindungen hergestellt, Sachverhalte vermischt, organisierte Gewalt – und sogar der Holocaust (!) – als Belege für die Existenz von satanistisch-rituellem Missbrauch genannt; eine Art der Argumentationskette, die in sich jedoch weder schlüssig noch wissenschaftlich haltbar ist.
Zwischen Parteilichkeit und blindem Glauben
Als Brigitte Hahn gefragt wird, wie man mit Fällen umgeht, die unklar sind und wo Beweise fehlen, scheint sie einen blinden Glauben zu vertreten:
„Natürlich müssen wir das tun und wir haben ja durch diesen ganzen sexuellen Missbrauch gelernt, dass wir es tun müssen. Es ist ja über Jahre vermieden worden, den Berichten Glauben zu schenken. Und das ist unsere gesellschaftspolitische Pflicht denen Glauben zu schenken.“
Quelle: Radiobericht
Es sei ihren Worten gemäß also eine „gesellschaftspolitische Pflicht„. Abstrahiert man von dieser Aussage kommt man rasch zu allgemeinen Überlegungen: Wie kann und muss Opferschutz jetzt aussehen nach all den Aufdeckungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Gefahr von suggerierten Erinnerungen und Fehltherapien? Was ist die wahre Pflicht, in der wir nun alle sind?
Ohne kritische (Selbst-)Reflexion kann es zu keiner Weiterentwicklung im Opferschutz kommen: wenn aus Fehlern nicht gelernt wird bzw. Konsequenzen gezogen werden, nachdem Menschen nachweislich (!) mit einer Therapieform schwer geschadet worden ist. Solange diese Therapie-Opfer ignoriert und übergangen werden und die schmerzlich-berührende Spiegel-Reportage einzig und allein als „schrecklich“ abgetan wird (übrigens ohne ein Wort des Mitgefühls für die von Fehltherapie betroffene junge Frau zu äußern), dann erhält der „Opferschutz“, den sich nicht nur Brigitte Hahn auf die Fahnen schreibt, einen schalen Beigeschmack.
Opferschutz heißt für alle Opfer einzutreten und diese auch vor Falscherinnerungen oder Suggestionen zu bewahren. Wem ist geholfen, wenn Trauma-Betroffene mit Hilfe von Therapeuten, einseitiger Ratgeber-Literatur und Social Media in einen vermeintlich satanistisch-rituellen Missbrauch gepusht werden?
Parteilichkeit für Opfer bzw. im Dienste der Opfer zu stehen heißt diese ernst zu nehmen, ohne sich von Satanic Panic vereinnahmen zu lassen: Unterstützung bzw. Hilfe zu leisten und das professionell – also ohne Verstrickung in eine Verschwörungstheorie.
Um es noch einmal zu betonen: Die Medienberichte vom Spiegel oder SRF, die Gutachten aus der Schweiz und die wissenschaftlichen Stellungnahmen sind kein Rundumschlag gegen Opferschutz und Traumatherapie. Im Gegenteil. Therapie kann Leben retten. Allerdings nur die Richtige; die falsche Therapie kann Leben zerstören.
Zurück zum WDR-Bericht: Was im Interview auf redaktionell-journalistischer Seite auffällt, ist die Verwendung von sprachlich sehr subtilen Formulierung.
Sprache schafft Wirklichkeit
Es sind feinen Nuancen in der Wortwahl der Journalistin, wie zum Beispiel eine Aussage über die Therapeutin, „die dem Artikel zufolge einer Frau eingeredet haben soll, dass sie Opfer eines Kults war.“ Für die Darstellung der indirekten Rede hätte es genügt, den Konjunktiv I des Verbs „haben“ zu verwenden: Die Therapeutin habe einer Frau eingeredet, dass sie Opfer eines Kults war. Das wäre eine neutrale Wiedergabe des Inhalts, so wie eigentlich die Erwartungshaltung an diesen Radiobericht ist. Doch wenn jemand etwas getan, gesagt – oder in diesem Fall eingeredet – haben soll, dann schwingen in dieser Formulierung starke Zweifel mit.
Ein weiteres Beispiel:
„Genau in diesem Bericht vom Spiegel wird diese These aufgestellt, dass die Therapeutin der Patientin etwas eingeflüstert hätte, das sei also alles gar nicht so passiert, dass sie von einem Kult missbrauch worden sei. Was haben denn, oder was hätten denn Therapeuten davon, Patientinnen solche Geschichten, solche Verschwörungsmythen einzureden?„
Quelle: Radiobericht
An dieser Stelle verwendet die Journalistin mit der Verbform „hätte“ zweimal hintereinander den Konjunktiv II in der indirekten Rede, was eindeutig Zweifel zum Ausdruck bringt: „In manchen Grammatiken findet sich darüber hinaus die Regel, dass der Konjunktiv II in der indirekten Rede auch verwendet wird, wenn der Sprecher gegenüber dem, was er berichtet, Zweifel hat oder es für unzutreffend hält (implizite Bewertung, Distanzierung).“ (Quelle)
Bei einem derartigen Interview ist übrigens davon auszugehen, dass die Fragen vorbereitet sind und demgemäß die sprachlichen Formulierungen bewusst gewählt worden und nicht bloß aus Rede und Antwort während des Gesprächs zufällig entstanden sind.
Interpretationsoffene Erklärung
Doch noch einmal zurück zu Brigitte Hahn und zu dem, was sie auf die oben zitierte Frage antwortet: Sie finde das „unverschämt, solche eine Unterstellungen (sic!) zu machen“, wie die Gründerin der Beratungsstelle hierzu anmerkt. Aus Hahns Antwort, die vom Singular in den Plural wechselt, könnte geschlossen werden, dass es nicht nur eine allgemeine Aussage ist, sondern sich explizit auch auf die berichtete Situation aus dem Spiegel bezieht – hierfür spricht die beginnende Formulierung in der Einzahl. Was wird damit ausgesagt? Soll hier ernsthaft die Aussage des Therapieopfers und Protagonistin aus der Spiegel-Reportage angezweifelt werden – und das obwohl – und das ist eine Mutmaßung – , Frau Hahn wohl nicht direkt mit der jungen Frau aus der Reportage gesprochen hat? „Unverschämt“ ist eine Wortwahl, in der sehr viel mitschwingt (was übrigens von journalistischer Seite her völlig unkommentiert im Raum stehen gelassen wird).
Auch Brigitte Hahns abschließende Worte bleiben (bewusst?) in der Luft hängen:
„(…) Es sei denn, der Verursacher des Leids tut viel dafür, damit wir das als Verschwörungstheorie abtun. Das wäre meine Erklärung.“
Quelle: Radiobericht
Womit sich diese „Erklärungsmöglichkeit“ von Brigitte Hahn allerdings deckt, sind diverse Äußerungen vermeintlich Betroffener in den sozialen Medien, bloß dort wird noch um einiges deutlicher formuliert. Spricht Brigitte Hahn nebulös von den „Verursachern des Leids“, die das alles als Verschwörungstheorie abgetan haben wollen, schwingt man im Internet ganz offen die Täterkeule: Denn Täter – so die immer wiederkehrenden, reflexartigen Repliken – stecken schließlich überall dahinter, weil ja ohnehin alles unterwandert sei.
So eine „Erklärung“ von Brigitte Hahn, die mehr aufwirft als erklärt, redaktionell unkommentiert als Schlusswort zu verwenden, ist gefährlich. Und zwar deshalb, weil sie Verschwörungstheorien füttert, die auf Social Media bereits so weit gesponnen werden, dass die Betroffene aus dem Spiegel-Bericht angeblich „mit Sicherheit wieder zum Kult zurückgeführt wurde“.
Rationale Aufklärung sieht anders aus. Seriös-objektive Medienberichterstattung übrigens auch.