In den vergangenen Monaten ist in Fachzeitschriften eine Reihe an kritisch-wissenschaftlichen Publikationen zum Narrativ von ritueller Gewalt & Mind Control bzw. wiederentdeckten Erinnerungen erschienen. Hier ein Sammlung an Links mit je einer zentralen Kernaussage des jeweiligen Artikels:
„In der Zukunft müssen einzelne Elemente des Themas genauer und trennschärfer benannt und hinterfragt werden. Wenn tatsächlich erlebte schwerste Gewalterfahrungen u. a. in therapeutischen, beraterischen oder Selbsthilfesettings mit verschwörungsnarrativen Elementen vermischt werden, führt das dazu, dass Betroffene Dritten gegenüber vor der Existenz- und Glaubensfrage stehen. Das heißt, wenn jemand von schwersten Gewalterfahrungen berichtet, muss darauf empathisch eingegangen werden. Beinhaltet der Erfahrungsbericht jedoch merkwürdig erscheinende und nicht belegbare Elemente, wie weitreichende kultartige Täter:innennetzwerke im Untergrund und umfassende Gedanken- und Verhaltenskontrolle, dann ist in besonderer Weise zu fordern, dass sich die Therapie in einer an der Symptomatik der Patient:innen orientierten Weise zu deren Nutzen an Plausibilitäten und realitätsnahen Überlegungen und der Abwesenheit von Belegen ausrichtet.„
„Es ist also nicht nur eine Frage wissenschaftlicher Redlichkeit, sondern es liegt auch im Interesse von Patient_innen, dass Angaben über rituellen sexuellen Missbrauch mit Mind Control und gezielter Persönlichkeitsspaltung nicht als Fakten verbreitet werden, wenn man über keine Informationen verfügt, welche die Faktizität der Angaben stützen, aber Informationen vorhanden sind, die damit schwer in Einklang zu bringen sind. Wird das fragliche Narrativ der rituellen sexuellen Gewalt durch vertrauenswürdig erscheinende Veröffentlichungen unkritisch (weiter) verbreitet, besteht die reelle Gefahr, dass im Sinne einer Self-Fulfilling Prophecy mehr Menschen irrtümlich annehmen, von ritueller sexueller Gewalt betroffen zu sein (…).“
„Die im Rahmen der vom BMFSFJ geförderten Forschungsprojekte kolportierte »Rituelle-Gewalt-/Mind-Control-These« steht in direktem Widerspruch zur internationalen Forschungslage der akademischen Psychologie und Psychotraumatologie.(…) Die (…) erhobenen Befunde sind bestenfalls als erste Einblicke in innere Wahrheiten und subjektive Narrative mutmaßlich von (ritueller) sexualisierter Gewalt Betroffener zu verstehen. Sie sind keinesfalls geeignet, seit Jahrzehnten etablierte, wissenschaftlich fundierte Begutachtungsverfahren durch bislang nicht näher spezifizierte Alternativverfahren zu ersetzen.“
„A considerable portion of therapists in this sample utilised suggestive therapeutic techniques to recover presumed trauma memories, but only a smaller subset of therapists appears to engage consistently in recovered memory therapy. These therapists may perceive it as their role to recover assumed memories even though this might lead to false memories. We therefore conclude that suggestive practices remain a concern in (German) psychotherapy.“
„Evidenzferne Behauptungen zur Existenz von ORG mit Mind Control und gezielten Persönlichkeitsaufspaltungen, die nur noch nicht aufgedeckt werden konnten (z.B. Schröder et. al, 2020), haben bereits jetzt spürbare Auswirkungen auf die Praxis. Dies zeigt sich sowohl im rechtlichen Kontext, wenn Polizei und Justiz über Jahre hinweg mit mutmaßlichen Fällen rituellen satanistischen Missbrauchs beschäftigt sind, selbst wenn keinerlei Beweise ermittelt werden konnten und Scheinerinnerungen eine plausible Erklärung sind. Dadurch werden wertvolle zeitliche Ressourcen für die Aufdeckung tatsächlicher Missbrauchsfälle und die Verurteilung von Täter:innen reduziert (…). Ebenso sind im therapeutischen Kontext Auswirkungen zu erkennen, wie das Beispiel Littenheid eindrücklich aufzeigt. Im klinischen Kontext tragen Therapeut:innen unmittelbar zum Leiden einer besonders schützenswerten Personengruppe bei, indem sie ausgehend von einschlägigen, durch die strittigen Publikationen unterfütterten Fehlannahmen, zu einer Induktion von Scheinerinnerungen beitragen. Die Konsequenzen solcher Scheinerinnerungen können genauso schwerwiegend sein wie die Folgen tatsächlich erlittener Traumata.“
„Der fachlich höchst bedenkliche Grundgedanke einer organisierten und gezielten Aufspaltung und Fernsteuerung von Personen wurde damit von Nick et al. (2018) wissenschaftlich scheinbar nachgewiesen und wiederholt publiziert, ungeachtet dessen, dass die Befunde aus methodischer Sicht keinerlei Belegkraft haben. So tragen Wissenschaftler:innen mit Forschungsmandat der deutschen Regierung dazu bei, unwissenschaftliche Konzepte zu verbreiten und mit vermeintlich wissenschaftlicher Evidenz zu untermauern. (…) Die methodenkritische Frage nach einem Außenkriterium für den Realitätsgehalt der Angaben wird in dieser wie auch in weiteren Publikationen grundsätzlich mit der Argumentation abgewiesen, man halte sich aus der Frage der Glaubhaftigkeit heraus, beschreibe lediglich ein Phänomen und wolle den Opfern eine Stimme geben. Genau das tut man damit allerdings nicht. Der Anspruch, ein reales Phänomen beschreiben zu wollen, impliziert nämlich, dass man die Angaben in vollem Umfang für realitätsbezogen hält. Man hält sich aus der Frage der Glaubhaftigkeit also gerade nicht heraus. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass es darum gehen könnte, eine möglichst große Zahl Betroffener nachzuweisen, um die gesellschaftliche Bedeutung eines bislang nicht belegten Phänomens hervorzuheben (…).“
„Protagonists of this mind-control concept who are particularly prominent in German-speaking countries are individual psychiatrists, trauma therapists, and social scientists (…). Adherents of the conspiracy narrative refer in continuing education, supervision, and sometimes even in academic texts to the German-language translation of the book Healing the Unimaginable: Treating Ritual Abuse and Mind Control by Alison Miller (2011, German edition 2014, published, like many of these articles, by Asanger Verlag) that, in addition to a satanic calendar and extensive reports by her clients, which, of course, are not questioned with regard to their relation to reality, contains detailed instructions for therapists on how to uncover ritual abuse that their clients are unable to remember, but which the therapists suspect on the basis of the list of symptoms that is also included in the book.“
„(…) Das ist aber eines von drei grundlegenden Kriterien, die Studien zu verdrängten Erinnerungen erfüllen müssen. Zum einen muss sichergestellt sein, dass das traumatische Erlebnis wirklich stattgefunden hat. Bereits das ist in vielen Studien, zum Beispiel bei der genannten, nicht gewährleistet. Zum anderen muss die betroffene Person sich tatsächlich nicht an das Ereignis erinnern können, selbst wenn sie es wollte. Und drittens müssten die wiedererlangten Erinnerungen eine korrekte Repräsentation des stattgefundenen Ereignisses darstellen. Diese notwendigen Voraussetzungen erfüllt derzeit keine einzige Studie zum Thema. Dementsprechend gibt es keine überzeugende Evidenz für das Phänomen der verdrängten Erinnerungen.“