Im Laufe der letzten Monate sind Nora und ich immer wieder damit konfrontiert worden, dass die moralische und satanische Panic sehr nahe beieinander zu liegen scheinen. Die Verschwörungstheoretiker bedienen sich bestimmter Elemente, die auf beide Verschwörungstheorien zutreffen.
Vielleicht ist das der Grund, wieso sich die Protagonisten beider Verschwörungstheorien begegnen, austauschen, die Hand reichen und sogar gemeinsame Ziele verfolgen. Doch dazu später mehr.
Bevor ich nun Parallelen zwischen moralischer und satanischer Panik aufzeige, möchte ich noch auf etwas eingehen, was hier auf dissoziationen.de bisher nicht zur Sprache gekommen ist. Lydia Benecke hat in ihrem Vortrag „Satanisch Panisch“ im Jahr 2020 bereits angesprochen, dass die Wurzeln der Satanic Panic von den Christen/Evangelisten ausgegangen sind. Es begann in einer Zeit (1960/70er Jahre), als in den USA die Bürgerrechtsbewegung, Jugendbewegungen und die Errungenschaften der Frauenbefreiungsbewegung einen großen Aufschwung hatten. Konservative und christliche Evangelikale sahen darin eine Bedrohung. Kriminalpsychologin Lydia Benecke beschreibt es wie folgt: „Es entstand die Angst, dass christliche Werte zerstört werden und das wurde im christlichen Glaubenssystem interpretiert: Satan übernimmt die Welt.“
Caelan Conrad geht in seinem Video „What Is A Groomer“ auf diesen Punkt noch etwas detaillierter ein:
| „Mit diesem Aufschwung der evangelikalen Bewegung kam auch die Befürchtung auf, dass satanische Kräfte die Jugend und die Kultur beeinflussen würden. Der Höhepunkt der rituellen Zodiac-Killer- und Manson-Morde im Jahr 1969 schien der Auftakt zu einem Jahrzehnt der öffentlichkeitswirksamen Sektengewalt und Serienmorde zu sein, darunter die von Ted Bundy, John Wayne Gacy, dem Jonestown-Massaker und Son of Sam. 1969 wurde auch Anton LaVey’s The Satanic Bible veröffentlicht, ein Werk, das zwar in Wirklichkeit nichts anderes als ein ausgefallenes Selbsthilfebuch war, aber die Paranoia der evangelikalen christlichen Moral Majority anheizte. Fundamentalistische Christen, die sich als ehemalige Mitglieder von LaVey’s Church of Satan oder ähnlicher satanistischer Sekten ausgaben, machten sich diese Paranoia und die damit verbundene Medienaufmerksamkeit zunutze, indem sie gefälschte Memoiren wie „Satan Seller“ veröffentlichten und auf lukrative Vortragsreisen gingen. In dieser Zeit entstanden auch Filme wie Rosemary’s Baby, The Omen, The Exorcist und The Amityville Horror, in deren Mittelpunkt Geschichten über Teufelsanbetung und dämonische Besessenheit standen und die sich religiöser Ikonographie bedienten. Die beiden letztgenannten Filme gaben außerdem vor, auf wahren Begebenheiten zu beruhen, was ihren Angstfaktor erhöhte und der zunehmenden Paranoia gegenüber übernatürlichen bösen Kräften Glaubwürdigkeit zu verleihen schien.“ |
Der christlich-evangelikale Einfluss hat für die Satanic Panic genauso wie für die moralische Panik eine enorme Bedeutung. Vor allem in den USA, denn die Evangelikalen hatten und haben dort immer schon eine große Macht – eine viel größere, als hier bei uns. Über den großen Teich schwappt die Panic vor allem deswegen, weil sich Konservative und Rechte die USA als Vorbild nehmen. Wie man derzeit sehen kann, mit Erfolg.
In den USA gab es in den 80er Jahren – zu dem Zeitpunkt, als sich die Satanic Panic rasant entwickelte – eine hohe Inflation. Das erzeugte sehr viele Unsicherheiten und Ängste in der Gemeinschaft und in den „Kernfamilien“. Apropos: Wir erinnern uns, auch Judith Sevinç Basad sprach in der populistischen Dokumentation „Trans ist Trend“ von einer „Kerneinheit der Familie„. In der Nazizeit nannte man diese Familienkonstellation (Mutter/Vater/Kind) „Keimzelle des Volkes„.
Die Inflation sorgte dafür, dass sich nun vermehrt beide Elternteile um das Einkommen sorgen musste, und so wurde die Angst erzeugt, dass Kinder – Schlüsselkinder – mit den falschen Leuten, mit Drogen und mit falschen Einflüssen in Berührung kam (Stichwort: Satanic Panic in Daycare Einrichtungen).
Wir halten also fest:
- Es gab große Bewegungen und Umschwünge,
- Angst um Kinder und Jugendliche vor schädlichen Einflüssen,
- Inflation und existenzielle Nöte,
- Kulturangst und Paranoia bestimmten die Jahre,
- auch AIDS ist in den 1980ern ausgebrochen und damit der Hass und die
- Angst vor Homosexuellen.
Erneut zitiere ich Caelan Conrad, denn er leistet hiermit eine sehr große Aufarbeitungsleistung:
| „In den frühen 1980er Jahren gab es also diese Kultur der Angst und Paranoia in Bezug auf die sich verändernde Kulturlandschaft und die Kernfamilie, den Höhepunkt dieser rechten Gegenreaktion auf die Ära der Bürgerrechte und des Feminismus sowie zahlreiche öffentlichkeitswirksame Behauptungen, die von lokalen Nachrichtensendern und nationalen und internationalen Medien unterstützt wurden, dass satanische Okkultisten in jeder Mittelklasse-Nachbarschaft überall auf der Welt zu finden seien und dass sie vielleicht gerade in diesem Moment versuchen würden, Ihre Kinder zu opfern.“ |
„Das sind die Zutaten für einen perfekten Sturm„, sind seine Worte. Und genau damit legt er wesentliche Grundbausteine für eine Verschwörung offen, die die Satanic Panic und die moralische Panik einen.
2016 und 2017 kam es zu den Verschwörungen Pizzagates und Q Anon. Auch diese Verschwörungen hängen ganz nahe und eng mit der moralischen und satanischen Panik zusammen.
- Pizzagate behauptete, dass Tausende von Kindern im Keller einer Pizzeria in Washington, D.C., von einer geheimen Regierung und mehreren hochrangigen demokratischen Politikern satanisch-rituell missbraucht werden
- QAnon war eine Erweiterung von Pizzagate, mit Anhängern, die die Theorie von Pizzagate über geheime, von der Elite betriebene Ringe für den Kindersexhandel übernahmen.
Wie bereits 1980 in den USA ging es auch hier um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Verschwörungstheoretiker haben vor allem dann den größten Erfolg, die Gesellschaft mit einer Panik zu infizieren, wenn man die Angst schürt, Kinder seien in einer großen Gefahr. Das sind sehr emotional geladene Themen, und um Verschwörungstheorien zu streuen und zu zünden, benötigt man starke Emotionen, starke Ängste, starke Unsicherheiten, eine starke Wut und idealerweise ganz viele Menschen, die sich politisch – meist aus rechtsextremen Kreisen – zu Nutze machen wollen.
Hier in Deutschland entstand das alles ein bisschen zeitverzögert. Es begann – ähnlich wie in den USA – mit der Frauenbewegung. Bereits in den 90er Jahren waren (vor allem radikale) Feminist:innen nicht in allen Belangen – von der Gründung von Frauenschutzräumen und Gewaltschutzgesetze abgesehen – konstruktiv im Kampf gegen Gewalt und Missbrauch. In genau dieser Zeit begann sich auch in Deutschland die Satanic Panic auszubreiten. Vor allem feministisch geprägte Traumatherapeuten, mehrere Opfervereine (näheres zu den Vereinen zu einem späteren Zeitpunkt) und schließlich sogar die UBSKM trugen mit dazu bei, die Mär des rituell-satanischen Missbrauchs zu verfestigen und zu verbreiten. Grundsätzlich ist es auch hier – wie in den USA – immer um den vorgeschobenen Schutz von Kindern und Jugendlichen gegangen.
Moral Panic
Und nun kommen wir zu der moralischen Panik, wie sie derzeit unser gesellschaftliches & politisches Klima beherrscht.
Mehrere große Krisen liegen hinter uns und/oder beherrschen aktuell die Schlagzeilen:
- Pandemie
- Ukrainekrieg
- Inflationen
Selten war in Deutschland die Unsicherheit, Zukunftsangst und das Misstrauen so groß, wie in den letzten Jahren seit 2020, als die Coronapandemie ausgebrochen ist. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Verschwörungstheorien auf einem überaus fruchtbaren Boden landen und vor allem in genau diesen Zeiten rechte Parteien Hochkonjunktur feiern. Das war 1933 ganz genauso – und wer bisher angenommen hat, dass sich Geschichte nicht wiederholen kann, kommt jetzt ins Staunen und Grübeln, denn wir sind gerade mittendrin.
Ängste und Unsicherheiten brauchen eine Projektionsfläche, damals waren es die Juden, heute sind es trans Frauen (nicht trans Männer!). Die moralische Panik, die in den USA bereits in ganzer Blüte ausgebrochen ist, fängt nun auch in Deutschland an zu reifen.
Gefährlich sind noch nicht einmal die Personen und Gruppierungen, die sich mit ihrer Transfeindlichkeit offen, ungeniert und zumeist sehr infantil in den sozialen Medien austoben, sondern diejenigen, die bewusst und strategisch am Rand mitschwimmen und deswegen von den meisten nicht als transfeindlich identifiziert werden. Darunter zählen viele Skeptiker (nicht nur in den USA), die in der Regel dafür bekannt sind, gegen Verschwörungen zu sein und über Bullshit aufzuklären. Sie sind in ihrer Agitation glaubwürdig und genau das macht sie gefährlich. Hinzu kommen Grenzgänger, die zumeist durch Halbwissen bis gar keine Kenntnisse und sogar bewusstes Lügen Munition an Extremisten liefern (so habe ich es letztens bei einem Kritiker gelesen), dann aber nie Verantwortung dafür tragen wollen, wenn es zu Gewalt und Faschismus kommt.
Das sind die Personen und Gruppierungen, die wir hier „unter die Lupe“ nehmen wollen. Nora und ich halten es für unsere menschliche und moralische Pflicht, diesbezüglich skeptische Aufklärungsarbeit zu leisten, denn auf Skeptiker, die als solche bekannt sind, kann man sich in der heutigen Zeit nicht mehr verlassen.
Und genau das ist auch das Spinnennetz, von dem Nora und ich sehr oft reden. Es tun sich Gruppierungen zusammen, die sich im Normalfall niemals verbünden würden. Satanic-Panic Feminist:Innen verbünden sich mit Moral-Panic (radikalen) Feminist:Innen, womit sie ihr bestes Pferd im Stall verprellen, nämlich diejenigen, die (mutmaßlich) an einer Dissoziativen Identitätsstörung leiden und zumeist trans Personen in sich tragen. Opfervereine springen auf den Zug der Transfeindlichkeit mit auf, genauso wie auf den Zug der Satanic Panic, weil es angeblich darum geht, dass trans Frauen – die man als Männer betrachtet – Kinder, Mädchen und Frauen gefährden. In dem Zusammenhang sind natürlich auch die Sisters e.V., die sich gegen die Prostitution positionieren, mit dabei. Auch ganz vorne mit dabei sind die Skeptiker, die sich mit Moral Panic Anhänger und damit auch über 10 Ecken mit der Satanic Panic Verschwörungstheoretiker:Innen verbinden. Allen voran die rechten Populist:Innen und die rechtsextreme Partei AFD.
Das sind skurrile Bündnisse, die aus ganz unterschiedlichen Motiven heraus entstehen und die man eingeht, um schneller und effektiver ans Ziel zu kommen.
Die Seite Menschenhandelheute.net hat bereits einige dieser Querverbindungen skizziert, die u.a. auch in der Satanic Panic Verschwörungstheorie mitmischen:
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Wir werden diese Skizze im Laufe der Zeit erweitern und vervollständigen.