Das Interview mit Bernd Harder

Titel des Interviews: „Das Thema macht Angst“

Die Webseite dissoziationen.de klärt kritisch über die Verschwörungstheorie vom satanistisch-rituellen Missbrauch und die damit einhergehende „Verzerrung der dissoziativen Identitätsstörung“ (DIS) auf.

Den Anstoß für diese Internetpräsenz gab ein Vortragsvideo von der SkepKon 2018 in Köln mit Lydia Benecke und dem Kriminalbeamten Dirk Bosse, das die Betreiberin als arrogant und irreführend empfand. Doch im Zuge der intensiven Recherchearbeit zum Thema änderte sich sukzessive ihre Überzeugung.

Das Interview wurde schriftlich geführt, die Fragen stellte Bernd Harder.

Frage (Bernd Harder):

Sie sind selbst Traumaopfer und haben eine DIS-Diagnose, hatten aber nie etwas mit satanistisch-rituellem Missbrauch, Mind Control oder falschen Erinnerungen zu tun. Woher rührte Ihr zunächst starkes Engagement für diese Szene?

Antwort (Marvel Stella):

Ich bekam die Diagnose sogar zwei Mal. Und nein, ich hatte niemals etwas mit satanistischem Missbrauch, mit Mind Control oder allgemein mit Kultverbrechen zu tun. Mein Engagement in der Szene der DIS-Betroffenen war rein persönlicher Natur, da ich einen unangemessenen Helferdrang entwickelt habe, bei dem es darum geht, das zu verhindern, was ich selbst erlebte.

Als ich vorhatte, die Thesen der GWUP aus dem Skeptical-Video von 2018 mit dem Titel „Die Verschwörungstheorie vom satanisch-rituellen Missbrauch“ zu widerlegen – ja, das hatte ich tatsächlich vor und das war auch der Auslöser all meiner Bemühungen –, trieb mich eine Kraft an, die ich als Kind aufgrund der erlebten Ohnmacht nicht aufbringen konnte. Diese Ohnmacht projizierte ich in andere Betroffene hinein, und darum entstand dieses starke Engagement.

Dazu muss man wissen: Ich stamme aus der DDR. Mein Vater war unter anderem in der Partei, und sein Ruf war ihm heilig, was ich oft zu spüren bekam. Es hat keiner geholfen – natürlich auch meine Mutter nicht, die von meinem Vater sehr abhängig war.

Irgendwann ging ich sogar zur Jugendhilfe, um dem Elternhaus zu entkommen. Allerdings: Die Jugendhilfe war nicht dafür gedacht, Kindern und Jugendlichen zu helfen, wenn sie zuhause misshandelt wurden. Sie entzog den Eltern nur dann das Sorgerecht, wenn man Kinder nicht im sozialistischen Sinne des Arbeiterstaates erzog.

Ich merkte damals bei der Jugendhilfe sehr schnell, dass ich in der Falle saß – und in genau dem Moment erlebte ich eine Ohnmacht, die ich nicht zu beschreiben vermag. Anstatt mir zu glauben, maßregelten sie mich und kontaktierten meinen Vater, mit dem besprochen wurde, ob es nicht ratsam sei, mich in einen Jugendwerkhof zu stecken.

Es war mir also Mitte 2021 ein ganz besonderes Anliegen, die Glaubwürdigkeit der Opfer zu erkämpfen – was ich bei den DIS-Betroffenen unbedingt in die Tat umsetzen wollte.

Frage (Bernd Harder):

Wann setzte der Umdenkprozess ein und über welchen Zeitraum entwickelte sich dieser?

Antwort (Marvel Stella):

Ich mag es nicht, meine Betroffenheit im Internet auszuagieren, um meine Meinung durchzusetzen. Je größer die Bedrohung scheint, desto emotionsloser und kontrollierter werde ich.

Um Kontrolle zu erlangen, braucht man Wissen. Wissen ist Macht, und diese hilft gegen die Ohnmacht. Also begann ich zu recherchieren – die ersten Monate einzig nur mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit der DIS-Betroffenen wiederherzustellen.

Doch in genau dem Moment, wo die Recherchen begannen, setzte auch mein Umdenkprozess ein, den ich noch einige Zeit lang zu verdrängen versuchte: Es galt, die Opfer zu schützen – und aufkeimendes Misstrauen konnte kein Opferschutz sein. So meine und inzwischen auch Noras Überzeugung.

Nora ist eine Freundin und mittlerweile enge Kollegin, die sich damals dazugesellte, um mit mir zusammen alle verfügbaren Studien, Videos, Fachberichte, Artikel, Arztmeinungen, Opferdarstellungen und Schilderungen der traumatischen Erlebnisse durchzugehen.

Ich brauchte irgendwas in der Hand, um gegen die GWUP auftreten und deren Thesen widerlegen zu können. Mit Aufregung und Empörung kann man keine Lorbeeren ernten, wie man so schön sagt. Doch je intensiver wir forschten, desto mehr verstanden wir dann den Mechanismus der zugrunde liegenden Verschwörungstheorie.

Frage (Bernd Harder):

Was passierte, als Sie schließlich Ihre Zweifel öffentlich machten?

Antwort (Marvel Stella):

Nach etlichen Monaten intensiver Recherche habe ich tatsächlich öffentliche Zweifel am Narrativ des satanisch-rituellen Kultmissbrauchs kundgetan. Was dann folgte, war ein Shitstorm, der mich schier überrannte.

Das Erste, womit ich konfrontiert wurde, war der Tätervorwurf und dass ich den Tätern helfen würde. All das kam von Personen, die genau wussten, dass auch ich eine DIS-Betroffene bin. Das hat mich durchaus tief getroffen, denn ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht so abgeklärt wie heute.

Mir fehlte die nötige Schutzbarriere, um diese – was man wörtlich nehmen kann – Hassattacken abwehren zu können. Die Ereignisse waren sehr schwarz-weiß: Gerade noch war man die DIS-Betroffene, die genau wusste, wovon sie sprach, und plötzlich wurde man zur Täterin, „Pädo-Dirne“ und Abschaum.

Einige spekulierten sogar, dass bei mir täterloyale Anteile aktiv seien, die nun versuchten, meine bisherigen Bemühungen zu vernichten. Das fand ich befremdlich, da ich mich mit dem Gerede über täterloyale – programmierte – Anteile nie identifizieren konnte.

Das Konstrukt mit den täterloyalen Anteilen hatte man einst zum Zwecke der Selbstimmunisierung geschaffen, und nun versuchte man es sogar mir überzustülpen. In DIS-Kreisen wurde mit Rundmails und öffentlichen Aktionen empfohlen, mich zu blocken – ich war also raus aus der sogenannten „Szene“.

Zum Glück war ich niemals richtig drin, denn ich bin aufgrund einer autistischen Störung kein Gruppenmensch. Im Zuge meines öffentlichen Engagements vertrauten andere Betroffene mir an, sie würden vor allem deswegen schweigen, weil sie vor genau dieser Ausgrenzung Angst hätten.

Frage (Bernd Harder):

Wie blicken Sie als DIS-Betroffene heute auf die Aktivitäten dieser Szene, etwa auf die Videos von angeblichen Betroffenen bei YouTube, Instagram und anderen Kanälen?

Antwort (Marvel Stella):

Sehr gemischt. Ich stehe der engen Zusammenarbeit einiger DIS-Blogger und Protagonisten mit einer Handvoll Therapeuten kritisch gegenüber, da sich diese beiden Gruppen in der Öffentlichkeit unentwegt gegenseitig bestätigen. Es erinnert an ein argumentatives Ping-Pong-Spiel, um den gemeinsamen Standpunkten durch wiederholende Zustimmung Seriosität zu verleihen.

Ich bin nach all den Recherchen auf Instagram fassungslos – vor allem, wenn Betroffene detailliert berichten, was sie vor dem dritten Lebensjahr in blutrünstigen satanistischen Kulten erlebt haben – also zu einer Zeit, an die man sich üblicherweise gar nicht erinnern kann, da die sogenannte infantile Amnesie greift.

Diese Schilderungen bestehen auch nicht bloß aus winzigen Erinnerungsfetzen, sondern beinhalten ausführliche Folterungsabläufe – angefangen von abgehackten Köpfen, die sie als winzig kleine Kinder in den Händen hielten, bis hin zum Kannibalismus und Vergewaltigungen durch mehrere Männer.

Mit Verlaub, aber das sind keine Trauma-Berichte – das sind Gewaltfantasien.

Auf YouTube gibt es Betroffene, die vor allem bemüht sind, die Unterschiedlichkeit der Persönlichkeitsanteile zu präsentieren. Zum Beispiel wechseln sich dunkle, verzerrte und roboterartige Stimmen mit einem kindlichen oder naiven Stimmchen ab. Auch die Mimik wird dementsprechend angepasst.

Diese Darstellungen sind allerdings viel zu affektiv und unglaubwürdig – vor allem, da bei der Darstellung alle Anteile gleichermaßen ein Skript ablesen.

Es gibt aber auch DIS-Blogger, die ich gerne lese – sehr intelligente Menschen mit einem überaus feinen Radar. In dem Fall bedaure ich es zutiefst, wie sehr sie in dem Verschwörungs-Denken verankert sind.

Frage (Bernd Harder):

Sie schreiben in einem Ihrer Artikel von einem „Leidwettbewerb“ in der „DIS-Bubble“. Könnten Sie das näher erläutern?

Antwort (Marvel Stella):

Nicht nur ich spreche davon – mittlerweile kommen da auch schon kritische Beiträge direkt aus der DIS-Bubble. So sprach eine Bloggerin letztens neben dem Leidwettbewerb auch die vorherrschende Mentalität an: „Es darf keine anderen Opfer neben mir geben.“

Weiter, schneller, höher – es geht fast überall ganz offensichtlich darum, wer am meisten Leid vorzuweisen hat. Es entsteht das Gefühl, Menschen beim Schaulaufen zuzusehen – und in Folge die Frage, ob der Preis für diesen Schaulauf Likes und Aufmerksamkeit sind.

Die Berichte werden immer monströser, immer gruseliger – und leider auch immer unwahrscheinlicher.

Rein medizinisch lässt sich über die Hälfte von dem widerlegen, was dem Leser oder Zuschauer als „Erinnerung“ präsentiert wird. Das lässt sich auch an der Sprachwahl erkennen – vor allem auf Instagram wird nicht mehr von schlimmen, brutalen und extremen Folterungen gesprochen, nein, man redet inzwischen im Superlativ von der „schlimmsten, brutalsten und extremsten Folter“.

Und so zieht sich das durchs gesamte Internet – aber auch durch Therapeutenkreise, wo diesbezüglich von „schlimmster Gewalt“ gesprochen wird. Wenn sich der Kreis schließt, beginnt man von vorne – und da sich an der Darstellung der Gewalt kaum noch etwas steigern lässt, macht man mit dem Alter weiter, in dem die Folter geschehen sein soll.

Neuerdings wird sogar schon von Abrichtungen und zielgerichteten Programmierungen des Ungeborenen im Mutterleib gesprochen.

Die Frage sei erlaubt, wie sich „gewöhnliche“ Opfer dabei fühlen – die ja „nur“ einen ganz normalen und unaufgeregt inzestuösen Missbrauch erlebt haben.

Frage (Bernd Harder):

Können Sie uns etwas zum Wesen einer Dissoziativen Identitätsstörung sagen? Was ist das genau – und was hat es mit der Behauptung von einigen Traumatherapeutinnen auf sich, bei einem Persönlichkeitswechsel, „Switch“ genannt, würde sich zum Beispiel auch die Augenfarbe der DIS-Person verändern?

Antwort (Marvel Stella):

Ich versuche mich kurz zu fassen, denn das Thema ist so umfangreich, dass man Bücher damit füllen könnte. Allgemein sehe ich in der Dissoziativen Identitätsstörung lediglich eine Steigerungsform der Inkohärenz bei einer sehr gespaltenen Borderline-Persönlichkeitsstörung. In der Hinsicht teile ich unter anderem die Auffassung des Psychotherapeuten und Mediziners Dr. Birger Dulz – obwohl ich selbst nie die Diagnose Borderline bekommen habe.

Ich verstehe nicht, warum sich DIS-Betroffene so rigoros von Borderline oder von Persönlichkeitsstörungen allgemein zu distanzieren versuchen. Man könnte meinen, die Störung, an der sie leiden, wäre dann keine Besonderheit mehr – wie es einige Traumatherapeuten glauben lassen wollen.

Und da komme ich tatsächlich schon auf den Aspekt der wechselnden Augenfarbe zu sprechen, die Betroffene bei einem Switch angeblich erleben. Von Therapeuten, die sich an der Forschung beteiligen möchten, erwarte ich, dass sie medizinische Sachverhalte plausibel vermitteln.

Die Traumatherapeutin Michaela Huber aber – um nur ein Beispiel zu nennen – spricht in ihren Büchern davon, dass sie den Wechsel der Augenfarbe bei den DIS-Betroffenen selbst nicht glauben würde, wenn sie es nicht persönlich gesehen hätte. So etwas ist keine Forschung und auch keine wissenschaftliche Publikation. Das ist Plauderei auf Stammtischniveau.

Die Augenfarbe kann sich – rein optisch – allerdings tatsächlich verändern, was jedoch nicht das Geringste mit der Dissoziativen Identitätsstörung zu tun hat, sondern auf alle Menschen zutrifft. Zum einen tragen die Lichtverhältnisse dazu bei, dass zum Beispiel grasgrüne Augen plötzlich blau wirken. Zum anderen haben auch Emotionen Einfluss auf die Größe der Pupille – was erneut rein optisch die Augenfarbe verändert. Ansonsten ist diese genetisch festgelegt und nach dem ersten Lebensjahr nicht mehr veränderbar.

Noch schlimmer finde ich die Behauptungen, dass sich auch Hautfarbe und Schuhgröße bei einem Switch ändern könnten. Oder dass jeder Persönlichkeitsanteil eine andere Krankheit haben kann – so hat etwa ein Anteil angeblich Krebs, der andere nicht.

Wenn ich so etwas höre oder lese, beginne sogar ich als Betroffene, die Existenz der Dissoziativen Identitätsstörung anzuzweifeln. Wie mag es all denen gehen, die die Krankheit nur vom Hörensagen kennen?

Solche Thesen möchte man noch nicht einmal zu widerlegen versuchen – da sie einfach nur irrsinnig sind.

Widerlegen könnte man dagegen zahlreiche andere Behauptungen – wie beispielsweise, dass ein Anteil eine Suchterkrankung oder eine Allergie hat, der andere aber nicht. Die Liste ist endlos – und ein kurzes Interview reicht hier nicht aus, um auf alle Behauptungen mit der nötigen Sorgfalt einzugehen.

Das Bild einer dissoziativen Identität ist in den letzten Jahrzehnten vor allem durch esoterische und Verschwörungs-Kreise stark verzerrt worden. Ich wünschte, diese Diagnose wäre niemals entstanden. Je facettenreicher die Diagnosen im ICD werden, desto mehr entfernt sich der Mensch vom Menschsein.

Es ist erschreckend, wenn man sich vor Augen führt, dass die Dissoziative Identitätsstörung vor 100 Jahren realistischer beschrieben wurde als in den letzten Jahrzehnten, wo sie Teil einer Verschwörungserzählung geworden ist.

Damals zählte das, was man heute als Dissoziative Identitätsstörung betrachtet, zur Hysterie – so wie alle Dissoziationsformen. Das zog sich bis in die 1980er Jahre hinein, bis versucht wurde, vom Hysterie-Begriff auf Grund des abwertenden Sprachgebrauchs generell Abstand zu nehmen.

Nach dem Wesen einer DIS gefragt, möchte ich dazu gerne etwas empfehlen: In den „Studien über Hysterie“ von Josef Breuer und Sigmund Freud aus dem Jahre 1895 ist auch ein Fallbeispiel von Breuers Patientin „Anna O“.

Diese Patientin hat mich anfangs nur am Rande interessiert. Ich fand ihren Krankheitsweg interessant, keine Frage – aber tatsächliches Interesse für diese großartige Frau entwickelte ich erst, als ich auf die außergewöhnliche Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim stieß – das war der reale Name der berühmten „Anna O“.

Umso mehr ich von ihr las – vor allem auch in dem oben genannten Werk „Studien über Hysterie“ –, desto mehr wurde ich mit dem Grundwesen einer DIS-Betroffenen konfrontiert. Damit beziehe ich mich keineswegs auf die Unterschiedlichkeit der Anteile, sondern tatsächlich auf ihr gesamtes Wesen, auf viele andere Symptome und Eigenarten, die bei einer Dissoziativen Identitätsstörung auftreten.

Zwei Stimmen – eine Wahrheit

Bertha Pappenheim & Stella

Was einst unterdrückt wurde, klingt heute weiter – in anderer Sprache, mit demselben Herzen.

Frage (Bernd Harder):

Wie gehen Sie mit Vorwürfen um, Sie würden den Opferschutz von rituell missbrauchten Menschen torpedieren?

Antwort (Marvel Stella):

Ich wiederhole in einer Endlosschleife, dass Kritiker nicht den rituellen, sondern den rituell-satanischen Missbrauch in groß angelegten Kulten in Abrede stellen. Im Grunde führe ich das fort, was auch die GWUP seit Jahren aktiv betreibt: Aufklärung, Aufklärung und nochmal Aufklärung.

Diese umfangreiche und kritische Aufklärung – und die Tatsache, dass sie über die Jahre hinweg Früchte trägt – führen allerdings dazu, dass in den Anhängerkreisen dieser Verschwörungstheorie Straftatbestände vermischt und Begrifflichkeiten verzerrt werden.

Vor allem nach den aktuellen Ereignissen in der Schweiz und den Untersuchungen dort nimmt diese Verzerrung ordentlich Fahrt auf. Plötzlich sprechen alle, die jahrzehntelang gepredigt haben, Kinder würden in satanischen Kulten mit Mind-Control-Programmierungen gequält und gespalten, nur noch davon, dass Kinder in germano-faschistischen, sadistischen und organisierten Kulten und Kreisen gefoltert und gespalten werden.

Das zeigt, dass durchaus ein Bewusstsein für die Verschwörungstheorie vorliegt – was bei mir eine gewisse Traurigkeit erzeugt. Es geht ja nicht nur um Meinungen, sondern es geht um Menschen, die teils schwer missbraucht wurden. Es geht um das Thema Kindermissbrauch.

Und genau dieser Missbrauch wird seit Jahren von denen, die helfen sollen, missbraucht. Doch ich glaube, ich komme vom Thema ab.

Emotional berührt mich der Vorwurf, ich würde den Opferschutz von rituell missbrauchten Menschen torpedieren, mittlerweile nicht mehr. Die meisten, die den Vorwurf erheben, kommen aus dem Verschwörungsspektrum, wo es nicht um Inhalte geht, sondern einzig darum, unsere Sichtweise zu diskreditieren.

Es geht darum, uns gesellschaftlich als ignorant und täterunterstützend zu brandmarken. Diese Vorwürfe sind mir egal geworden – nicht aber das Ziel der Aufklärung und Opfern zu helfen, die zu Unrecht beschuldigt, in eine Angstpsychose hineingetrieben werden, oder die sich aufgrund der soeben genannten Angstpsychose das Leben nehmen, oder irgendwann begreifen müssen, dass sie von wahnhaften Therapeuten in eine Scheinwelt hineingetrieben wurden, die alles Lebenswerte in ihrem Leben zerstört hat.

Frage (Bernd Harder):

Wenn wir versuchen, Journalisten für eine kritische Berichterstattung zu interessieren oder einseitige Artikel zurechtzurücken, werden wir häufig auf die Stellungnahmen der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM) verwiesen, die sich wiederum auf einen bei ihr angesiedelten „Betroffenenrat“ beruft. Wie sehen Sie dieses ehrenamtliche beratende Gremium – und damit verbunden die Chance für eine umfassende, objektive Aufklärung über dieses ganze Themenfeld?

Antwort (Marvel Stella):

Diese Frage hat es in sich. Ich fühle mich selbst wie eine Verschwörerin. Denn wie klingt das, wenn man sagt, dass die UBSKM beziehungsweise der Betroffenenrat an der Verbreitung der Verschwörungstheorie beteiligt sind?

Wenn mittlerweile nicht so viel aufgedeckt worden wäre – unter anderem auch in der Schweiz – hätte ich längst kapituliert. Im Betroffenenrat befinden sich mitunter Betroffene, die vorgeben, in einem satanistischen Kult rituell missbraucht worden zu sein. Entsprechend setzt sich die UBSKM auch dafür ein, dass diese Gewalt anerkannt wird.

Das Thema macht Angst. Nein, ich selbst habe keine Angst – aber die Angst ist in mir. Und zwar sehr akut, weil es hier um ein Machtgefälle geht, was für mich, die aus der DDR stammt, sehr schwer auszuhalten ist.

Wo kann man sich hinwenden und beschweren, wenn der Betroffenenrat Verschwörungsnarrative verbreitet und dazu beiträgt, dass das Krankheitsbild, an dem ich leide, unglaubwürdig wird? Es gibt dafür keine Beschwerdestelle – eine Tatsache, die mir, wie eingangs erwähnt, sehr vertraut ist.

Wir haben die UBSKM auf diesen Sachverhalt mehrmals hingewiesen – was jedoch kontinuierlich ignoriert wird. Wieso setzt sich die UBSKM für etwas ein, was weltweit noch niemals – seit mehr als vier Jahrzehnten – trotz intensiver Ermittlungen aufgedeckt werden konnte?

Warum ignoriert die UBSKM die umfangreichen Ergebnisse in der Schweiz, in den Niederlanden oder all die Ermittlungen in den USA? In mir weigert sich alles, der UBSKM eine bewusste und willentliche Beteiligung zu unterstellen. Aber gerade darum fehlt mir die Erklärung für deren Vorgehen – was erneut Ohnmacht erzeugt. Und damit schließt sich wohl der Kreis.

Sie fragten, wie ich die Chance für eine umfassende, objektive Aufklärung über dieses ganze Themenfeld sehe. Ich denke, uns steht noch ein sehr langer Weg bevor.

Das, was sich in den vergangenen 30, 40 Jahren exzessiv verbreitet und in den Köpfen manifestiert hat – beziehungsweise was da hinein konditioniert wurde – bekommt man so schnell nicht geradegerückt.

Bei der QAnon-Verschwörungserzählung – die im Übrigen sehr eng mit der Satanic-Panic-Verschwörungstheorie zusammenhängt – kann man getrost abwinken. Die meisten haben keinerlei Probleme damit, hier den Verschwörungsmythos als das zu sehen, was er ist, weil sich vorwiegend rechte und esoterische Personen an der Verbreitung der QAnon-Thesen beteiligen.

Das ist beim Narrativ des rituell-satanistischen Kultmissbrauchs ganz anders. Hier beteiligen sich renommierte Trauma-Psychotherapeuten, Opfervereine, die eng mit der Kirche zusammenarbeiten, Missbrauchs-Hilfestellen – und letztendlich sogar die UBSKM. Wer möchte sich schon an dieser brandheißen Herdplatte die Finger verbrennen?

Trotzdem sehe ich die Chancen positiv. Immer mehr Menschen – Außenstehende, und vor allem auch Ärzte und Wissenschaftler – fangen an, sich zu interessieren und zu recherchieren. Hier sieht man bereits große Erfolge – und es laufen auch viele Bemühungen hinter den Kulissen.

Die Schweiz hat zudem etwas vollbracht, was ein Zurück in die „unbeschwerte Verschwörungszeit“ unmöglich macht. Es ist leicht, uns zu diskreditieren und als täterloyal oder gar Täter zu bezeichnen. Aber all die Fachgutachter, Ärzte und Forscher, die die Verschwörungstheorie in den Schweizer Kliniken ausgehebelt haben, wird man in der breiten Gesellschaft nicht diskreditieren können.

Außerdem haben diese Ereignisse gezeigt, dass Ärzte und Kliniken zum einen nicht vor Verschwörungsglauben gefeit und zum anderen nicht unangreifbar sind. Die Landesgrenze kann an dieser Tatsache nichts ändern.

Nachtrag 2025

Ich bin Bernd Harder, Journalist und Autor, sehr dankbar, dass er mir im Jahr 2023 die Gelegenheit gegeben hat, meine Sichtweise – abseits meiner eigenen Webseite – so präzise und öffentlich darzulegen.

In diesem Interview hat er mir, als DIS-Betroffene, eine Stimme gegeben, die auch in renommierten Kreisen Gehör fand. Dafür danke ich ihm von Herzen.

Fast drei Jahre lang haben wir gemeinsam aufgeklärt. Ich durfte durch ihn und seine Mitstreiterin, die Kriminalpsychologin Lydia Benecke, nicht nur viel lernen – ich konnte auch vieles für meine eigene Zukunft mitnehmen.

Beide haben mir ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht. Auch dafür bin ich dankbar.

Ich weiß, dass Bernd Harder und Lydia Benecke weiterhin über die Verschwörungstheorie rund um „Rituelle Gewalt“ und „Mind Control“ aufklären werden – mit Fachlichkeit und Verantwortung.

Auch wenn ich mich mittlerweile aus der aktiven Aufklärungsarbeit zurückgezogen habe, stehe ich beiden weiterhin zur Verfügung, sollte es offene Fragen geben.

In diesem Sinne,
– Stella

3 Kommentare

  1. Endlich konnte ich das Interview ebenfalls lesen! Vielen Dank für die interessanten Einblicke in die Szene!
    Einiges hatte ich mir auch schon selbst gedacht und die Artikel auf eurer Seite schildern es ebenfalls schon sehr gut. Damit beziehe ich mich zum Beispiel auf den Artikel „Rauswurf“ und den Umgang mit dir (Marvel) nach Äußerung von Kritik.

    Ebenso darf ich gestehen, dass ich mir auch manchmal wie ein Verschwörungstheoretiker vorkomme, wenn ich der/die/das UBSKM die Objektivität zum Thema abspreche.

    Dass die Aufklärung dazu noch sehr lange dauern wird, sehe ich auch so. Es ist ein echt mühseliges Unterfangen und jemand meinte letztens zu mir: „Vermutlich wird es die Biologie regeln müssen“. Was man dabei vielleicht im Auge behalten sollte ist, dass in den USA die Satanic Panic ihr Revival erleben könnte. Mal schauen wer insgesamt den längeren Atem hat.

    Viele Grüße
    Sebastian

  2. Ich hatte heute den Skeptiker im Briefkasten und das Interview dann auch gleich gelesen.
    Sehr gut auf den Punkt gebracht und wirklich lesenswert. Vieles steht zwar hier im Blog, aber so kompakt sollte jedem klar werden worum es geht.
    Auch wenn ich es bereits wusste, es ist einfach unfassbar, dass du solchen Anfeindungen ausgesetzt bist.
    Ein wenig kenne ich das alles ja durch meinen kurzen Abstecher in die Bubble. Zusätzlichen Autismus habe ich zwar nicht, konnte da aber auch keinen wirklichen Anschluss finden, da ich das Gefühl hatte nicht ehrlich sein zu können. Kein echter Austausch, nur permanente Bestätigung wie DIS man ist. Keine ernsthafte Kritik an bizarren Therapiemethoden oder an grotesk anmutenden Symptombeschreibungen. Leuten, die an der Diagnose Zweifel hatten, wurde da stets gut zugeredet, dass sie sicher auch DIS sind. Mein Eindruck war, umso mehr desto besser, weil das ja das Ausmaß unterstreicht. Kritiker sind nicht erwünscht.
    Was mir dort aufgefallen ist, wie schnell Leute mit ursprünglicher Borderline Diagnose von hubertreuen und Co in null komma nix die DIS diagnostiziert bekamen. Da wird ordentlich geklotzt!
    Hab es zwar schonmal geschrieben, aber gerne nochmal: ich hoffe du und Nora seid gut geschützt auf eurem Blog. Die Schwurbler sind echt ziemlich angriffslustig…

    1. Ich danke Dir, liebe Yvonne, für deine Rückmeldung zum Interview im Skeptiker, aber auch für deine Worte zu dem, was in DIS Foren passiert. Das deckt sich zu 100% mit dem, was ich dort sehe/wahrnehme.

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