Die Frage, ob die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) als Traumafolgestörung eingestuft werden kann, ist ein äußerst relevantes und viel diskutiertes Thema. Die Meinungen in der Fachwelt gehen dazu auseinander und es gibt interessante Erkenntnisse.
Zusammenhang zwischen BPS und Trauma:
Es ist bekannt, dass ein hoher Anteil von Menschen mit BPS traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit gemacht hat. Studien belegen, dass etwa bis zu 96 % der Betroffenen von traumatischen Erfahrungen wie Vernachlässigung, psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt berichten. Traumata, die mit BPS in Zusammenhang stehen, umfassen jedoch nicht nur Missbrauch oder Vernachlässigung, sondern oft auch Bindungstraumata. Diese entstehen durch instabile, unsichere oder ambivalente Beziehungen zu primären Bezugspersonen, die tiefgreifende Auswirkungen auf die emotionale Regulation und die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung haben können.
Zudem zeigen neurobiologische Untersuchungen, dass bei Personen mit BPS ähnliche Hirnveränderungen auftreten wie bei Menschen mit klassischen Traumafolgestörungen. Dies deutet darauf hin, dass es möglicherweise eine gemeinsame Ursache gibt. Auch epigenetische Faktoren spielen hier eine Rolle: Traumatische Erlebnisse können genetische Prozesse beeinflussen, die mit Stressverarbeitung und emotionaler Regulation in Zusammenhang stehen. Dies könnte erklären, warum manche Menschen nach Traumata eine BPS entwickeln, während andere nicht betroffen sind.
Diagnostische Einordnung:
In den aktuellen Diagnosesystemen, wie dem DSM-5 und der ICD-11, wird die BPS als Persönlichkeitsstörung klassifiziert. Diese Einordnung basiert auf spezifischen diagnostischen Kriterien, die nicht zwingend eine Vorgeschichte von Trauma voraussetzen. Gleichzeitig gibt es jedoch eine kontroverse Diskussion unter Experten: Einige argumentieren, dass die BPS als eine Form der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) betrachtet werden sollte, da sich viele Symptome und Ursachen überschneiden. Andere hingegen betonen, dass nicht alle Fälle von BPS auf traumatische Erfahrungen zurückzuführen sind, was eine klare Abgrenzung erforderlich macht.
Obwohl BPS und kPTBS oft ähnliche Symptome zeigen – wie emotionale Instabilität, impulsives Verhalten und zwischenmenschliche Probleme –, gibt es Unterschiede. Bei BPS stehen häufig tiefgreifende Ängste vor dem Verlassenwerden und Schwierigkeiten mit der Identität im Vordergrund. Bei kPTBS sind hingegen Flashbacks, Dissoziation und ein starkes Gefühl der emotionalen Betäubung dominanter. Diese Unterschiede unterstützen die Ansicht, dass es sich um verwandte, aber dennoch unterschiedliche Störungsbilder handelt.
Therapeutische Implikationen:
Unabhängig von der diagnostischen Einstufung ist es in der Therapie entscheidend, die individuelle Trauma-Historie der Betroffenen zu berücksichtigen. Die Behandlung sollte sowohl die Persönlichkeitsaspekte als auch mögliche Traumafolgen adressieren. Die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) hat sich als besonders wirksam bei der Behandlung von BPS erwiesen, auch bei Betroffenen mit traumatischen Vorerfahrungen. Ergänzend kann ein traumafokussierter Ansatz wie die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (Tf-CBT) hilfreich sein, um spezifisch auf die Bearbeitung von Traumafolgen einzugehen.
Darüber hinaus tritt BPS nicht selten zusammen mit kPTBS auf, weshalb eine sorgfältige Diagnose notwendig ist, um alle relevanten Symptome angemessen zu behandeln.
Präventive Ansätze:
Die Prävention von BPS durch frühe Interventionen in belasteten Familien und bei Kindern mit traumatischen Erfahrungen ist ein wichtiges Forschungsfeld. Hier spielen stabile Bindungen, Zugang zu psychologischer Unterstützung und die Förderung emotionaler Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Zudem betonen Wissenschaftler die Bedeutung sozialer und kultureller Faktoren, da instabile soziale Umfelder oder ein geringer sozialer Rückhalt das Risiko für Traumata und die Entwicklung einer BPS erhöhen können.
Fazit:
Obwohl viele Menschen mit BPS traumatische Erfahrungen gemacht haben, wird die Störung derzeit nicht einheitlich als Traumafolgestörung klassifiziert. Die Diskussion darüber ist jedoch im Gange, und zukünftige Forschung könnte zu einer Neubewertung führen. Es bleibt entscheidend, dass Therapien individuell angepasst werden, um sowohl die Persönlichkeitsmerkmale als auch die möglichen Traumafolgen effektiv zu behandeln.
Quellen:
- Traumafolgestörungen bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Leben mit einer dünnen Haut
- Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen komplexer PTBS und Borderline-Persönlichkeitsstörungen
- Traumatisierung und Bindungsstörung
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